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Was sich kusst das liebt sich

Was sich kusst das liebt sich

Titel: Was sich kusst das liebt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manning Sarra
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das sie zu ihrem Büro erklärt hatte. Sie stellte ihr tragbares Heizgerät auf die höchste Stufe, schaltete ihren Computer ein, der noch mit Windows98 lief, und rutschte ein wenig auf ihrem harten Stuhl herum in dem vergeblichen Versuch, eine einigermaßen bequeme Sitzhaltung zu finden. Dann schob sie eine Kassette in den ramponierten Walkman, bei dem man vorsichtig auf eine ganz bestimmte Stelle klopfen musste, damit er mit dem Abspielen begann.
    Ein Großteil ihres Arbeitstages bestand darin, knisternde Kassetten abzuhören, weil eine Menge unbedeutender literarischer Persönlichkeiten ihre Memoiren vor ihrem Tod auf Band sprachen und Mr Freemont darauf bestand, dass alles transkribiert wurde. Er war überzeugt, dass sie eines Tages über ein unentdecktes Shakespeare-Stück stolpern oder einem sensationellen Sexskandal auf die Spur kommen würden, in den einige Mitglieder des Bloomsbury-Kreises verwickelt waren. Damit wäre dem LLA ein fester Platz auf der akademischen Landkarte sicher.
    Aber noch war es nicht so weit. J.L. Simmons (1908–1997) hatte eine verdrießliche, nörgelnde Stimme und bediente sich eines derart umfangreiches Vokabulars, dass Neve ständig den Kassettenrekorder anhalten musste, um in drei verschiedenen Wörterbüchern die diversen obskuren Wörter nachzuschlagen, mit denen das Rechtschreibprogramm von Microsoft völlig überfordert war. Es war langweilig, und ihre Gedanken kehrten immer wieder zu den Stunden mit Max zurück, in denen sie überwiegend Verlegenheit und Peinlichkeit empfunden hatte, wenn sie nicht gerade mit der Zunge voran in seinen Mund eingetaucht war.
    Vor allem aber musste sie immer wieder an den schrecklichen Augenblick denken, als Max aufgehört hatte und aus ihr herausgeglitten war, weil sein bestes Stück nicht mehr erigiert gewesen war. Im Grunde konnte sie sich nach wie vor nicht erklären, wieso er überhaupt einen Ständer bekommen hatte, denn sie gehörte weiß Gott nicht zu der Sorte Frau, bei der Männer glaubten, sterben zu müssen, wenn sie nicht auf der Stelle mit ihr schlafen konnten. Nach dem Debakel der vergangenen Nacht hatte Neve mehr denn je das Gefühl, dass sie dazu verurteilt war, allein zu bleiben. Einsam und ungeliebt. Was bedeuten würde, dass die letzten drei Jahre völlig umsonst gewesen waren.
    Ihr blieben noch sechs Monate. Sechs Monate, um das Beste aus sich zu machen. Sechs Monate, ehe William aus Kalifornien zurückkehrte, zu ihr, der neuen, besseren, schlanken Neve.
    Sie hielt erneut die Kassette an, um in ihrer Tasche nach dem Luftpostbrief zu suchen, den sie vor zwei Wochen erhalten hatte. Die dünnen blassblauen Seiten waren völlig zerknittert, weil sie den Brief mindestens einmal pro Stunde las, obwohl sie den Inhalt bereits auswendig kannte. Sie fand es schön, dass sie sich Briefe schrieben, richtige Briefe, die sie einander mit der Post schickten.
    Celia war darüber entsetzt gewesen. » Wieso schickt ihr euch nicht einfach Nachrichten via Facebook wie jeder andere auch?«, hatte sie gefragt.
    Aber wenn sie mit William über Facebook Kontakt aufgenommen hätte, dann hätte er automatisch Zugriff auf ihre täglichen Updates und Fotoalben bekommen, und das hätte die Überraschung verdorben. Nicht, dass sie beide ausgesprochen technophob gewesen wären– sie telefonierten einmal monatlich miteinander und schickten einander gelegentlich E-Mails mit Links zu Artikeln in Literaturzeitschriften. Am häufigsten aber schrieben sie sich Briefe. » Wir haben beide englische Literatur studiert, und die verfügt über eine lange Tradition in der Kunst des epistolarischen Schreibstils…«, hatte sie Celia erklärt.
    » Du weißt doch, dass ich komplizierte Wörter hasse«, hatte Celia gequengelt.
    » …und außerdem ist Briefeschreiben viel romantischer.«
    Celia hatte die Augen verdreht und ihr geraten, sie solle lieber ausgehen und ein paar richtige, lebendige Jungs kennenlernen, statt ihrem Tutor aus Oxford nachzuweinen.
    Neve starrte auf ihren Computerbildschirm, aber alles, was sie sah, war Williams aufmunternder Blick, wenn er sie gefragt hatte, ob sie mit dem Rest der Seminargruppe ins Pub gehen wollte. Stets hatte er sich nach ihrer Meinung zu den Büchern erkundigt, die sie gerade lasen oder zu den Artikeln ihres Rektors, die immer wieder mal in der Literaturbeilage der Times erschienen. Und immer hatte er gelächelt und genickt und ihr wirklich zugehört, mit einer Aufmerksamkeit, die ihr sonst niemand schenkte. Und dann all

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