Was sich kusst das liebt sich
um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. » Äh, ja, aber…«
» Beth von der Kulturredaktion hat euch zusammen zur U-Bahn gehen sehen.«
Das war alles? Neve ließ die Straßenlaterne los, denn damit wurde sie auch ohne festen Halt fertig. » Ja, wir sind zusammen nach Finsbury Park gefahren. Er wohnt doch in Crouch End«, erklärte sie. » Es war total harmlos. Kein Grund, gleich voreilige Schlüsse zu ziehen.«
» Tja, tu ich aber, weil mir Max am Vormittag über den Weg gelaufen ist und weil sich eure Geschichten nicht decken«, knurrte Celia grimmig. » Er sagt, er ist mit dir nach Hause gegangen.«
» Er hat mich nach Hause begleitet …«
» Und er war in deiner Wohnung, er hat nämlich gesagt, du hättest mehr Bücher als jede Buchhandlung.«
Neve fröstelte, was nichts mit dem eisigen Wind zu tun hatte, der ihr das Haar ins Gesicht blies und ein paar Strähnen in die Augen peitschte. Sie unterdrückte ein Stöhnen. » Was hat er sonst noch gesagt?«
» Nicht viel«, gab Celia zu. » Nur, dass du ernsthafte Probleme hast. Aber dann wollte er wissen, ob ich heute schon mit dir geredet habe und ob es dir gut geht. Er ist über dich hergefallen, stimmt’s? Hat er dir wehgetan?«
» Unsinn! Er ist noch für einen Drink mit reingekommen…« Neve zermartete sich das Gehirn, was sie Celia erzählen sollte. Nicht die Wahrheit natürlich. Celia erzählte ihr zwar immer brühwarm von ihren Abenteuern, aber Neve zog es vor, nicht aus dem Nähkästchen zu plaudern. Was normalerweise nicht weiter schwierig war, weil ihr nie etwas auch nur im Entferntesten Aufregendes zustieß. Aber von gestern Nacht konnte sie Celia unmöglich berichten. Gestern war etwas passiert, und es war schrecklich gewesen. Woran Max allerdings überhaupt keine Schuld traf. Sie hatte ihn unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ihre Dachkammer gelockt. Nicht, dass ihr Celia das jemals glauben würde. » Nur auf ein Glas Wein. Hat er verärgert gewirkt?«, fügte sie hinzu.
» Hmmm.« Celia überlegte. » Eher besorgt als verärgert. Was aber auch daran liegen könnte, dass er wegen des Covers der Juniausgabe gerade den reinsten Albtraum durchmacht. Ganz ehrlich, Neve: Wenn er versucht hat, dich zu vergewaltigen, dann schneide ich ihm mit der großen Schere aus der Moderedaktion den Schwanz ab, ich schwör’s dir.«
» Celia, glaubst du wirklich, dass jemand, der wie Max aussieht und der vermutlich schon mit einigen Models im Bett war…«
» Nicht nur › vermutlich ‹, sondern ganz sicher. Er hatte sogar was mit der Tussi, die diesen albernen Song über…«
» Warum sollte er dann gerade mit mir schlafen wollen?«, fragte Neve. » Und selbst wenn er es versucht hätte, ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Ich boxe gegen Gustav.«
» Hm, auch wieder wahr«, sagte Celia langsam, und Neve konnte ihr anhören, dass sie nicht mehr vorhatte, Max seiner Männlichkeit zu berauben. » Versteh mich nicht falsch, du bist wunderschön. Aber es ist dieselbe Art von Schönheit wie bei einer Kollektion von Marc Jacobs– die meisten Leute erkennen sie nicht auf den ersten Blick, wenn du weißt, was ich meine.«
» Nein, ich habe keine Ahnung, was du meinst, aber danke für das Kompliment. Es war doch ein Kompliment, oder?«
» Na, klar!« Celia kicherte. » Keine Sorge, wir finden schon ein paar schnuckelige Jungs, mit denen du dich vergnügen kannst, ehe William zurückkommt. Sensible Typen, die Kunstgalerien besuchen und dir die Tür aufhalten und so.«
Max hatte ihr gestern Nacht zwar keine Türen aufgehalten, aber er hatte sie auf der Innenseite des Bürgersteigs gehen lassen und sich auf jedem Meter ihrer abenteuerlichen Reise in Richtung Sex erkundigt, ob alles in Ordnung war. » Ich glaube, ich werde einen Callboy anheuern und stattdessen mit ihm üben«, sagte Neve, obwohl sie nichts dergleichen vorhatte. Sie wollte lediglich hören, wie Celia geschockt und begeistert zugleich nach Luft schnappte.
» Na warte, das erzähle ich Mum«, krähte Celia denn auch vergnügt, ehe sie auflegte und Neve sich mit zehn Minuten Verspätung in ihr Büro schlich.
Nach dem Gespräch mit Celia konnte sie sich partout nicht mehr auf das Transkribieren und Kommentieren konzentrieren. Heute früh war sie noch so vor Selbstmitleid zerflossen, dass sie keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie es Max wohl gehen mochte.
Es war alles andere als angenehm, sich die Einzelheiten noch einmal in Erinnerung zu rufen; in der Wunde herumzustochern,
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