Was sich liebt, das trennt sich: Roman (German Edition)
mit dem unangenehmen Telefonat heute Morgen hatten ihn so erschöpft, dass er dringend mal eine Nacht schlafen musste. Aber heute Abend würde er das wieder nicht schaffen.
»Luke!«
Er sah auf die Uhr: Es war Montag, zwanzig nach eins am Nachmittag. Er war nur ein paar Minuten bewusstlos gewesen. Er schob die Brille hoch auf seine Stirn und rieb sich über die Augen. Wenn er doch nur die letzten zweiundfünfzig Stunden geschlafen hätte. Dann hätte es keine Reise nach Las Vegas gegeben, keine Tagung über private Vermögensverwaltung, keine unglückliche Tändelei.
Er versuchte, sich daran zu erinnern, was Samstagnacht passiert war - nach dem Punkt, an dem er so viel Scotch getrunken hatte, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte, dass er Luke Silas Sedgwick IV von den Connecticut-Sedgwicks war. Den Connecticut-Sedgwicks, die - mit der wahrscheinlichen Ausnahme von Lukes Onkel Bink, dem schwarzen Schaf der Familie - niemals in einen solchen Schlamassel geraten wären. Luke dachte zurück und fand nur unbefriedigende Erinnerungsfetzen: ein berauschender Duft. Ein schwarzes Kleid. Eine so starke Anziehungskraft, dass sie vorherbestimmt schien. Eine schmerzhafte Enttäuschung, als er am Morgen allein aufgewacht war. Darüber hinaus undurchdringliches Nichts.
Er hätte sich von Tom Ver Planck nicht dazu überreden lassen sollen, zu der Tagung zu fahren. »Es ist eine Gelegenheit. Lass sie nicht verstreichen«, hatte sein Freund gesagt. Ver Planck, dessen Name und dessen Ruf als Geschäftsmann ihm Hunderte unaufgeforderte Einladungen wie diese pro Jahr eintrugen, war von den Tagungs-Organisatoren eine kostenlose Reise angeboten worden. »Wenn jemand fragt, dann tu einfach so, als seist du einer meiner Mitarbeiter.« Ver Planck hatte Luke das Erste-Klasse-Ticket quasi in die Hand gedrückt. »Und amüsier dich. Du hast mit Nicki Schluss gemacht, oder? Du bist ein freier Mann.«
»Luke!«, rief seine Großtante wieder.
Dennoch hatte Ver Planck recht gehabt; Luke hatte einige interessante Investment-Ratschläge mitgenommen. Und trotz seiner Müdigkeit hatte er heute tatsächlich etwas geschrieben. Ein kleines Wunder.
Er betrachtete ein gezacktes Stück Gips, das fast von der Decke seines Arbeitszimmers im zweiten Stock fiel, dann las er noch mal das, was auf dem Papier vor ihm stand:
Sie sind alle so schwach, die sonnengeäderten südlichen Winde, vergehn, sobald der Nordwind seinen kalten Odem haucht; bunte Blätter ahmen Blumen nach und fallen doch bald, vom Frost gezeichnet, in Fetzen ruiniert ...
Das waren die ersten Zeilen, die er seit Jahren geschrieben hatte, sie waren ihm heute Morgen zugeflogen, nachdem er aufgelegt hatte. Und sie waren nicht mal schlecht, obwohl »nachahmen« ganz falsch war und das Metrum durcheinander brachte. »Bunte Blätter erinnern an Blumen« funktionierte besser.
Luke sah wieder auf den Computerbildschirm, wo ihn Zahlenkolonnen verhöhnten. Er dachte, dass er vielleicht Licht machen sollte; der Tag zog sich bereits zurück. Der Sommer war zu Ende, und all seine restlichen Freuden - ein langer Nachmittag, eine letzte, unerwartete Brombeere am Busch am südlichen Zaun - wurden von Luke, wie von jedem gebürtigen Neuengländer, als vergänglich betrachtet.
Luke wusste auch, dass es schwer war, allein in einem mehr als zweihundert Jahre alten Haus in Neuengland zu wohnen, selbst wenn noch eine andere Person mit einem zusammenlebte. Es war nicht die Anwesenheit von Geistern - obwohl Abigail darauf bestand, dass es viele gab -, es war die Tatsache, dass das moderige alte Mausoleum nicht leise sein konnte. Luke lauschte auf die Bewegungen von Abigail Agatha Sarah Sedgwick, wie sie die vordere Treppe hinaufstieg: ein lautes Knarren der dritten Stufe von unten, die dieses Geräusch schon machte, so lange er sich erinnern konnte. Dann ein rhythmisches Zittern, während die Treppe sich anstrengte, die ganzen ein Meter zweiundfünfzig und fünfundvierzig Kilo ihrer Besitzerin zu tragen. Luke wog beinahe das Doppelte von Abby und war mehr als dreißig Zentimeter größer, und wenn er ging, vibrierte das Haus bei jedem Schritt, und die Scheiben in den Sprossenfenstern klapperten in ihren maroden Rahmen. Das Silas Sedgwick House - errichtet zwanzig Jahre nach dem Unabhängigkeitskrieg von Silas Ebenezer Sedgwick, Farmer, Kaufmann und Patriot, und prächtiger und größer gemacht von seinen Nachfahren sowie seit zwei Jahrhunderten der Stolz von New Nineveh, Connecticut - drohte jetzt, um
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