Was sich neckt, das küsst sich (German Edition)
Oder wenigstens mit gegenseitiger Anziehung.
„Denken Sie einfach mal drüber nach“, riet Trisha. „Die richtige Frau kann ganze Königreiche zum Einsturz bringen.“
Was toll klang, aber nichts war, an dem Heidi auch nur das geringste Interesse hatte. Sie wollte lediglich ihren Großvater vor dem Gefängnis bewahren und gleichzeitig ihr Zuhause und ihre Ziegen behalten. Bescheidene Träume, die niemand anders beeindrucken würden, ihr aber alles bedeuteten.
Trotzdem, verzweifelte Zeiten verlangten verzweifelte Maßnahmen, oder nicht? Sie schaute Rafe an, bewunderte seine breiten Schultern, den überraschend sinnlichen Mund. Könnte sie einen Mann wie ihn verführen? Ihn vergessen lassen, dass er sie eigentlich zerstören wollte?
Sie stellte sich vor, etwas Aufreizendes zu tragen, dazu hohe Absätze; ihr Haar war offen und lang und wurde ihr vom Wind aus dem Gesicht geweht. Wie im Film, dachte sie. Aber anstatt einen gekonnten Auftritt hinzulegen, würde sie vermutlich mit dem Absatz im Saum ihres Kleides hängen bleiben und mit dem Gesicht zuerst auf dem Fußboden aufschlagen. Oh ja, das wäre bestimmt sehr beeindruckend.
Das Bild stand ihr so deutlich vor Augen, dass sie grinsen musste. Dabei schaute sie zufällig zu dem fraglichen Mann. Der allerdings überhaupt nicht amüsiert aussah. In seinem dunklen Blick lag Entschlossenheit. Die angespannte Haltung seiner Schultern verriet ihr, dass das hier für ihn kein Spiel war; sollte sie versuchen, sich ihm in den Weg zu stellen, würde sie es bereuen. Die Temperatur im Gerichtssaal sank auf einmal um mehrere Grad ab, und Heidi verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust.
„Heidi?“
May gesellte sich zu ihr. „Ich habe das, was ich gesagt habe, wirklich so gemeint“, erklärte sie. „Dass wir zusammen schon eine Lösung finden. Ich weiß, dass Glen mir nicht wehtun wollte. Er wollte nur einem Freund helfen.“
Heidi fragte sich, ob sie wohl genauso großzügig sein würde, wenn die Situation umgekehrt wäre.
„Das weiß ich sehr zu schätzen. Glen ist kein schlechter Mensch. Nur manchmal ein wenig impulsiv.“
May lächelte. Ihre dunklen Augen funkelten amüsiert. „Das ist manchmal gar nicht so schlecht.“
„Solange man am Ende des Tages keinen Anwalt braucht.“
„Stimmt.
May war eine attraktive Frau mit kleinen Fältchen um die Augen. Sie war ungefähr so groß wie Heidi, aber ein wenig fülliger; ihre exklusive Kleidung umschmeichelte ihre Figur. Heidi zupfte an den Ärmeln ihres einzigen „netten“ Kleides herum, das sie besaß. Der blaue Strick bedeckte sittsam ihre Knie und konnte sowohl zu Geschäftsterminen als auch zu Beerdigungen angezogen werden. Zusammen mit den dazu passenden Pumps hatte sie das Kleid ungefähr fünf Jahre zuvor in einem Secondhandladen in Albuquerque gefunden.
„Lass uns einen Termin ausmachen, wann wir uns zusammensetzen.“ May holte ihr Handy heraus. „Ich speichere deine Nummer und rufe dich dann an.“
„Das war nett“, sagte May zu Rafe, der sie zu ihrem Hotelzimmer begleitete.
Nett? Sie hatten den Vormittag vor einer Richterin verbracht, die ihren Fall bis in die Ewigkeit aufgeschoben hatte. Sie hingen in der Luft, es gab keinen Sieg und keine Niederlage. Rafe war gescholten worden, weil er den Vertrag nicht gelesen hatte - eine sehr erniedrigende Erfahrung. Er wollte einfach nur aus Fool‘s Gold verschwinden und nie wieder zurückkehren. Hier war noch nie irgendetwas Gutes passiert.
Er öffnete die Tür zur Suite und ließ seine Mutter vorgehen. Sosehr er noch in dieser Sekunde nach San Francisco zurückfahren wollte, er konnte es nicht. Nicht bis er ihre Pläne kannte.
„Du weißt, dass noch nichts geklärt ist“, sagte er ihr.
Sie stellte ihre Handtasche auf dem Tischchen an der Tür ab und ging voran in das helle, hübsch eingerichtete Wohnzimmer.
„Ich weiß, und ich bin damit einverstanden. Die Richterin war sehr fair. Ich habe so viele Pläne für die Ranch.“
„Die Ranch gehört dir nicht. Zumindest noch nicht.“
„Aber die Richterin hat gesagt, ich darf Veränderungen vornehmen, wenn Heidi einverstanden ist.“
„Wäre es nicht besser, damit zu warten, bis die Angelegenheit geklärt ist? Wir könnten nach Hause zurückfahren …“
„Ich bleibe hier.“ Seine Mutter setzte sich aufs Sofa, den Rücken hielt sie kerzengerade, ihr Blick war entschlossen. „Hier waren wir als Familie glücklich. Du hast gesehen, in welchem Zustand sich das Haus und das Land befinden.
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