Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
im Wesentlichen heißt, dass Männer keine Rettungsringe um die Hüfte aufweisen sollten. Spätestens hier zeigt sich dann aber doch wieder die kulturelle Codierung von Schönheitsidealen jenseits des Body-Mass-Index. Denn lange Zeitgalt der stattliche Bauch beim Manne als Indiz von Stärke und Machtfülle, als evolutorischer Marker finanzieller Gesundheit. Und noch heute soll es Frauen geben, die vielleicht nicht auf einen klassischen Wohlstandsbauch, wohl aber auf love handles stehen, wie umgekehrt genügend Männer einen hübschen Bauch der Wespentaille vorziehen. Size does matter , es kommt auf die Größe an.
Homo Quadratus und Homo Circularis
Ganz unabhängig von saison- oder epochenabhängigen Gewichtsfragen sind es die unmittelbar aus der Architektur des menschlichen Skeletts abgeleiteten Proportionen, die die Menschen weitaus stärker beschäftigt haben – und die sie auf ihre Artefakte angewandt sehen wollten. Schon der um die Zeitenwende herum in Rom praktizierende Architekt Marcus Vitruvius Pollio (oder kurz: Vitruv) sah im menschlichen Körper eine vollkommene Harmonie, die er für die Architektur von Tempeln nutzbar machen wollte. Vitruv hatte erkannt, dass die Spannbreite der Arme der Körpergröße entspricht und dass sich der idealtypische menschliche Körper sowohl einem Kreis als auch einem Quadrat einschreiben lässt. Im dritten seiner Zehn Bücher über Architektur schreibt er: „Ferner ist natürlicherweise der Mittelpunkt des Körpers der Nabel. Liegt nämlich ein Mensch mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Rücken, und setzt man die Zirkelspitze an der Stelle des Nabels ein und schlägt einen Kreis, dann werden von dem Kreis die Fingerspitzen beider Hände und die Zehenspitzen berührt. Ebenso wie sich am Körper ein Kreis ergibt, wird sich auch die Figur eines Quadrats an ihm finden. Wenn man nämlich von den Fußsohlen bis zum Scheitel Maß nimmt und wendet dieses Maß auf die ausgestreckten Hände an, so wird sich die gleiche Breite und Höhe ergeben wie bei Flächen, die nach dem Winkelmaß quadratisch angelegt sind.“ Während der Kreismittelpunkt also im Bauchnabel liegt, ist der Schritt, zumindest in der berühmtesten Darstellung des Vitruv-Menschen durch Leonardo da Vinci, der Mittelpunkt des Quadrates.
Erst durch diese Federzeichnung von 1492, deren Original in Venedig unter Verschluss liegt und die – von der italienischen Ein-Euro-Münze bis zum Krankenkassen-Logo – das meistzitierte Werkder Kunstgeschichte sein dürfte, wurden homo quadratus und homo circularis in der Renaissance populär. Weil Leonardos Darstellung zuerst im Buch von Pacioli erschien, wurde sie mit der göttlichen Proportion in Verbindung gebracht, was aber bei Vitruv gar nicht angelegt ist: Ihm ging es vorrangig um den Kreis und das Quadrat. Und ihn interessierten glatte Brüche und handfeste Faustregeln. An anderer Stelle schreibt er: „Den Körper des Menschen hat nämlich die Natur so geformt, dass das Gesicht vom Kinn bis zum oberen Ende der Stirn und dem untersten Rande des Haarschopfes 1/10 beträgt, die Handfläche von der Handwurzel bis zur Spitze des Mittelfingers ebenso viel, der Kopf vom Kinn bis zum höchsten Punkt des Scheitels 1/8.“
Bei dem Versuch, menschliche Schönheit aus mathematisch glatten Bruchzahlen abzuleiten, scheint es Vitruv mit den realen Menschen nicht besonders genau genommen zu haben. Albrecht Dürer, der in seinen Anfängen unter dem Bann von Vitruvs Brüchen und Paciolis Goldener Teilung gemalt haben muss, war anscheinend irgendwann so unzufrieden mit den Resultaten, dass er, wie Karl Menninger in Mathematik und Kunst berichtet, die vermeintlich gottgegebenen Maße einem entlarvenden Realitätscheck unterzog: „Dann gibt Dürer diese Versuche auf, vermisst wirkliche Menschen aufs Genaueste und legt seine Entwürfe in den Vier Büchern über menschliche Proportionen nieder. Seine Erkenntnis: Es gibt nicht den einen schönen Menschen. Vielmehr findet man, wenn man die wirklichen Menschen misst, mehrere Gattungen. In unserer Sprache: Dürer macht statistische Messungen und findet aus ihnen Mittelwerte. Damit hat die wissenschaftliche Erkenntnis den philosophischen Glauben vom Schönen Menschen abgelöst.“
Dennoch lernt heute noch jeder Kunststudent die vitruvianischen Proportionen im Aktzeichenkurs, und insbesondere die Feststellung, dass der Kopf ein Achtel der Körperlänge ausmacht, gehört zum eisernen Inventar anatomischer Darstellungskonventionen. Dabei
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