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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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und Automobilhersteller, die die Daten etwa für das Design ihrer Sitze und Innenräume dringend benötigten. Erfasst wurden neben Größe, Taillen-, Brust- und Hüftumfang mithilfe von Bodyscannern auch die exakten Konturen von mehr als 13.000 Männern, Frauen und Kindern, denn – so ist auf der Website sizegermany.de zu lesen – „eine 80 Jahre alte Frau und eine 25-Jährige mit Größe 38 haben zwar die gleiche Größe, aber unterschiedliche Figuren“.
    2009 lagen die Ergebnisse vor, die allerdings nur für die partizipierenden Firmen zugänglich sind. So viel immerhin sickerte durch: Der deutsche Mann zwischen 26 und 40 Jahren misst im Schnitt 181,8 Zentimeter, die Frau 168,5 Zentimeter. Der Längenzuwachs der jüngeren Generation scheint zum Erliegen gekommen, dafür gehen auch die Deutschen in die Breite. Der Hüftumfang der deutschen Durchschnittsfrau ist gegenüber 1994, als die letzte Reihenmessung stattfand, um satte 4,1 Zentimeter gewachsen. Ihre upgedateten und realitätsgecheckten Durchschnittsmaße lauten: 98,7-84,9-102,9. Wie schon Immanuel Kant wusste, ist der Mensch „aus krummem Holze“ geschnitzt – und aus krummen Zahlen zusammengepuzzelt.
Menschliche Module
    Mitte des 20. Jahrhunderts war es der Architekt Le Corbusier, der in der humanistischen Tradition des Bauhauses und in den Fußstapfen von Vitruv, Pacioli und Villard de Honnecourt die Idee von einer dem Menschen auf den Leib geschneiderten Architektur auf Wiedervorlage nahm. Ab 1942 entwickelte er den 1949 erstmals in Buchform erschienenen Modulor , ein – wie der Name schon sagt – modulares Baukastensystem basierend auf den Proportionen des menschlichen Körpersund dem Goldenen Schnitt. Es ging ihm dabei um nichts Geringeres als „das menschliche Problem der Harmonie durch die Verhältnisse der Maße“ zu lösen. Ein Problem, das allzu lange „vom Schachbrett der Fachleute verschwunden“ gewesen sei oder „sich in Mystik und Esoterik gehüllt“ habe. Mit dem Modulor sollte nun endlich der an menschlichen Bedürfnissen ausgerichtete Rationalismus der industriellen Massenproduktion in der Architektur Einzug halten, weshalb Corbusier seine Großsiedlungskomplexe auch als „Wohnmaschinen“ bezeichnete. Gemäß der Bauhaus-Idee der Standardisierung von allem und jedem sollte der Modulor dabei als nahtloses Raster vom Kleinsten bis ins Größte skalieren und – „universell anwendbar für Architektur und mechanische Dinge“ – zur Richtschnur für Stadtplanung, Inneneinrichtung, Möbel- und Grafikdesign werden.
    Dafür ging Corbusier zunächst von einer menschlichen Standardgröße von 1,75 Metern aus – später passte er sie auf 1,83 Meter, also sechs englische Fuß, an. Diese zerlegte er gemäß dem Goldenen Schnitt in eine Folge geometrischer Teilabschnitte. So ergaben sich eine „blaue Reihe“ von 1,83 Meter, 1,13 Meter (was nach Vitruv genau der Bauchnabelhöhe entspricht), 70 Zentimeter, 43 Zentimeter und so weiter. Durch Verdopplung dieser Werte gelangte er zur „roten Reihe“ mit dem signifikanten Wert 2,26 Meter, der als doppelte Bauchnabelhöhe genau den Abmessungen des Mustermenschen mit ausgestrecktem Arm entsprechen sollte. Diesen Wert legte Corbusier als Standard-Deckenhöhe fest. Sie sollte sich wie alle anderenAbschnitte und Proportionen am Bau quasi automatisch am menschlichen Maßstab ausrichten.

    Obwohl scheinbar naheliegend, war der kompromisslos funktionale Gedanke, den Menschen selbst zum Maßstab zu machen, in der Architektur ein gewisses Novum. Die Fassaden- und Grundrissgestaltung dieser Zeit orientierte sich eher an tradierten Mustern und Proportionen wie den Teilungsverhältnissen der Tetraktys und an den verschiedenen Mittelmaßen (man unterscheidet arithmetisches, geometrisches und harmonisches Mittel). Allerdings ließ die Kritik nicht lange auf sich warten: Der vermeintliche Humanismus, so der Vorwurf, schlage bei Corbusier um in einen Dogmatismus mit menschlichem Antlitz. Das Konzept sei willkürlich, nicht wissenschaftlich und gehe im Übrigen – typisch Bauhaus-Macho! – nicht vom menschlichen, sondern nur vom männlichen Maßstab aus. Vor allem aber liege eine heimtückische Verwechslung vor, wenn man glaubte, menschenfreundlich zu bauen, nur weil man die Abmessungen des menschlichen Körpers zum Maßstab dafür erhebe.
    In der Praxis wurde insbesondere die aus dem Modulor abgeleitete Deckenhöhe von 2,26 Metern zum Problem. Eine Zimmerdecke, die ein durchschnittlich groß

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