Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
entwerfen – das ist das Lebensprojekt des 1936 in Wien geborenen Architekten, Mathematikers und Philosophen Christopher Alexander. In seinen opulenten Büchern A Pattern Language , The Timeless Way of Building und The Nature of Order entwickelt er eine universelle Mustersprache des Lebendigen, die sich aus der Natur ableitet, aber auch für Artefakte und technische Systeme gelten soll. Aus der Analyse biologischen Lebens, sozialer Systeme und traditioneller Architekturen, die nicht durch Reißbrett-Planung entstanden sind, identifizierte er 15 Gesetze, die ganz allgemein lebendige Strukturen kennzeichneten. Sie zu befolgen, so Alexander, würde die Grundlage für eine „robuste und freundliche Welt“ schaffen. Für die Planung leitete er zudem insgesamt 253 patterns ab, strukturelle Muster, die im Werkzeugkoffer zur Lösung architektonischer Probleme unter Berücksichtigung menschlicher Grundbedürfnisse zur Verfügung stehen.
Der erste Punkt, dem sich Alexander in seinen Grundgesetzen widmet, sind Größenverhältnisse. Dabei unterscheidet er große, mittelgroße und kleine Teilstrukturen, wie bei einem Baum Stamm, Äste und Zweige. Größenverhältnisse von 1:2 bis 1:4 bewähren sich gemäß Alexander recht gut, seltener findet man Verhältnisse von 1:10, noch seltener 1:20. Exakt zahlen- und formelmäßig erfassen lassen sich diese Verhältnisse jedoch ebenso wenig wie viele seiner weiteren Punkte: Ob „Starke Zentren“, „Rhythmische Wiederholungen“, „Lokale Symmetrie“ und „Einfachheit und innere Ruhe“ – vieles entspringt dem Bauchgefühl und der Intuition. So schreibt etwa Helmut Leitner in seinem Kompendium Mustertheorie . Einführung und Perspektiven auf den Spuren Christopher Alexanders zum Punkt „Rauigkeit – Individualität“: „Alle wirklich lebendigen Dinge sind laut Alexander individuell. Er spricht von einer gewissen Unbekümmertheit, Lockerheit, Entspanntheit oder morphologischen Rauigkeit, die nicht einer Idealform entspricht. Dies hat oft tiefe strukturelle Gründe. Die Irregularität kann eine Antwort auf Irregularitäten der Umgebung, der Entstehung oder Lebensgeschichte sein.“ Nicht von ungefähr fühlt man sich hier an das fernöstliche Ästhetik-Konzept des Wabi-Sabi erinnert, wonach wahre Schönheit erst durch eine Patina, Einsprengsel des Hässlichen und Unperfekten, zur Geltung kommt.
Obwohl Alexander mit derartigen Ansichten oft hart an der Grenze zur esoterischen Mystik entlangschrammt, liegt dem Ganzen doch eine psychomorphologische Empirie zugrunde. Die bestand zum Beispiel darin, dass Alexander seinen Studenten ein Foto von einem Pfahlbau im Slum von Bangkok und eines von einer postmodernen Architekten-Villa vorlegte und sie bewerten ließ, welches der beiden Gebäude lebendiger sei. Die überwiegende Mehrheit der Studenten gab dem Slum-Haus den Vorzug.
Kein Wunder, dass sich Alexander mit solchen Methoden innerhalb seiner Zunft keine Freunde machte und auch mit seinen raunend philosophischen Thesen und Themen bei den von Haus aus eher handwerklich-zupackend und rationalistisch veranlagten Architekten nicht landen konnte. Die wenigen Gebäude, die er nach eigenen Regeln entworfen und gebaut hat, sind umstritten und gelten Architekturkritikern als reaktionär oder ironischerweise selbst als postmodern. Allerdings hat er als Stichwortgeber die Architekturbewegung des New Urbanism in den USA maßgeblich mitgeprägt, auf deren Konto einerseits Dörfer wie aus der Truman Show und gated communities gehen, die aber andererseits zumindest wieder den Gedanken in die amerikanische Stadtplanung eingeschleust hat, dass man Städte und Stadtviertel auch zu Fuß erschließen können muss.
Zuletzt wurde Alexander von den Programmierern im Silicon Valley und anderswo neu entdeckt, die in seiner Mustersprache wichtige Anhaltspunkte für neuartige Software-Architekturen fanden. Auch zu Luhmanns Systemtheorie und zur Formlehre eines George Spencer-Brown lassen sich Bezüge herstellen. Helmut Leitner, Interpret Christopher Alexanders, sieht mit dem Zwang zum ökologischen Umbau der Industriegesellschaft die große Zeit der Mustertheorie erst noch bevorstehen: „Die Entwicklung von Systemen zu höherer Qualität erfolgt in kleinen, überschaubaren Schritten. Die Ergebnisse müssen dann kontrolliert werden. In diesem Sinne ist die Mustertheorie einezutiefst demokratische und soziale Theorie, die für die Emächtigung der Bürger und eine Dezentralisierung der Prozesse
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