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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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weiter). Das Überraschende: Die durchschnittliche Kevin-Bacon-Zahl liegt bei knapp unter 3. Von knapp 1,6 Millionen in der Internet Movie Database gelisteten Schauspielern haben nur 877 eine KBZ von 6, 134 eine von 7 und 15 eine von 8. Wer selbst einmal den Verbindungen zwischen unterschiedlichen Schauspielern nachgehen möchte, probiere die Website The Oracle of Bacon (oracleofbacon.org) aus.
    Eine andere Variante dieses Spiels kursiert unter Mathematikern schon seit Ende der 1960er Jahre. Ihr Kevin Bacon ist der schon zu Lebzeiten legendär gewordene Ungar Paul Erdős, der sein Leben lang von Konferenz zu Konferenz und von Universität zu Universität tingelte. Erdős war in den unterschiedlichsten mathematischen Gefilden unterwegs und publizistisch hochproduktiv, er veröffentlichte mit über 1.500 Artikeln mehr als jeder andere Mathematiker und arbeitete dabei mit über 500 Kollegen zusammen. Die Erdős-Zahl wird auf gleiche Weise errechnet wie die Bacon-Zahl, nur dass es hier um Ko-Autorschaft geht. Der Durchschnitt liegt bei 4,65, wobei diejenigen,die sich überhaupt nicht verbinden lassen (etwa, weil sie nur als Einzelautoren veröffentlicht haben), nicht berücksichtigt werden und eine Erdös-Zahl von unendlich zugewiesen bekommen.
    Kleine-Welt-Phänomen heißt dieser erstaunliche Befund. Als „Small World Problem“ wurde es zuerst 1967 von dem amerikanischen Psychologen Stanley Milgram beschrieben – dem Milgram, den wir heute vorrangig wegen seines makaberen Folterexperimentes kennen. In seiner populären Fassung besagt es, dass jeder Mensch auf der Erde über maximal sechs Ecken mit einem beliebigen anderen Menschen „bekannt“ ist. Im Englischen spricht man deshalb auch von „six degrees of separation“.
    Wie im Großen, so im Kleinen: Überall wo Menschen zusammenkommen, interagieren oder kommunizieren – sei es als Paar oder Familie, Clique oder Team, Party oder soziales Netzwerk – wirkt die Anzahl der Beteiligten strukturbildend. Zahlen sind in Bezug auf Menschen „soziales Plastik“, um Joseph Beuys zu modifizieren. Sie sind der Rohstoff und die Knetmasse, mit der sich gesellschaftliche Prozesse beschreiben und gestalten lassen. Soziales Verhalten, die Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander, ihre Bindungskraft und soziale Dynamik wie auch die Qualitäten und die Außenwirkung einer Gruppe als Ganzes müssen anders beschrieben werden als in der Psychologie. Dieser Erkenntnis verdankt sich letztlich die Herausbildung der Soziologie. Sie untersucht nach einem Wort Georg Simmels „die unübersehbar mannigfaltigen Formen des sozialen Lebens, all das Miteinander, Füreinander, Ineinander, Gegeneinander, Durcheinander in Staat und Gemeinde, in Kirche und Wirtschaftsgenossenschaft, in Familie und Verein“.
    Und so war es auch Simmel, einer der Gründungsväter dieser Wissenschaft, der als einer der ersten die Bedeutung der Gruppengröße einer umfassenden Analyse unterzog. In seiner Soziologie von 1908 widmet er sich nach einem einleitenden Kapitel über die Problemlage des damals jungen Fachs gleich im nächsten Kapitel ausführlich der „quantitativen Bestimmtheit der Gruppe“. Zunächst unterscheidet er ganz allgemein kleine von großen Gruppen ohne ihre jeweilige Anzahl genauer anzugeben. Manche sozialen Zusammenschlüsse funktionieren nur, wenn sie eine gewisse Größe nicht überschreiten: sozialistische Kollektive etwa (die Oktoberrevolution war noch ein Jahrzehnt entfernt), religiöse Sekten wie die Herrnhuter oder Waldenser, dieein intensives Gemeinschaftsleben pflegen, das keine unbegrenzte Ausdehnung verträgt, oder die Aristokratie, die sich schon aufgrund ihres Selbstverständnisses als Herrschaftselite klein halten muss und ihr Wachstum durch verschiedene Regelungen wie die Erbfolge (ausschließlich durch den Erstgeborenen) und standesinterne Heiraten zu begrenzen sucht. Die Elite war für Simmel gerade dadurch bestimmt, dass ihre Zahl klein ist und bleibt.
    Das Gegenbild zum kleinen, überschaubaren exklusiven Kreis ist die Masse, die Simmel zufolge jegliche Individualität aufsauge, zu Impulsivität und Radikalismus neige und die Ende des 19. Jahrhunderts mit der Veröffentlichung von Gustave Le Bons Psychologie der Massen in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte.
    Le Bon ist nur der exponierteste Vertreter jener Vordenker, die sich unter dem Eindruck von Industrialisierung, explodierenden Großstädten und Phänomenen wie Massenaufläufen und Revolutionen Ende des 19.

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