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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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und Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem gefühlten Phänomen der „Vermassung“ beschäftigten. Auch Ortega y Gasset, Siegfried Kracauer, Sigmund Freud sowie später Elias Canetti widmeten der Masse und der Massenpsychologie einschlägige Schriften. Wie tickt die Masse anders als das Individuum? Ab welcher Größe und Dichte wird aus einer Ansammlung von Menschen ein irrationaler und unberechenbarer Mob? Heute wirkt diese Traditionslinie in der Panikforschung fort, die uns verstehen hilft, wie etwa die Situation bei der Love Parade in Duisburg 2010 so eskalieren konnte.
    Allerdings sind derartige Massenphänomene seltene Ausnahmeerscheinungen und der Erklärungswert der Massenpsychologie ist entsprechend limitiert. Der Alltag sozialer Gruppen sieht anders aus. Wichtiger sind deshalb die numerisch bedingten Änderungen in der Feinstruktur kleiner Gruppen, deren Gefüge sich mit jeder hinzustoßenden Person verändert. Wann schlägt eine quantitative Veränderung in eine qualitative um? Georg Simmel selbst muss einräumen, dass die Frage nach dem „numerischen Erfordernis“ einer Gruppe einen „sophistischen Ton“ habe, man sich also aufs Glatteis spitzfindiger Unterscheidungen begibt. Dennoch zeigt er sich von der Wirksamkeit des Faktors Gruppengröße überzeugt: „Jeder bestimmten Zahl von Elementen entspricht je nach Zweck und Sinn ihrer Vereinigung eine soziologische Form, eine Organisierung, Festigkeit, Verhältnis des Ganzen zu den Teilen usw. – die mit jedem dazukommenden oderabtretenden Element irgendeine, wenn auch nur unermesslich kleine und nicht feststellbare Modifikation erfährt.“ Das Problem ist eher, dass wir nicht genügend Begriffe haben, um diese feinen Unterschiede jeweils genau zu bezeichnen.
Einsam, zweisam, dreisam
    Bis zu einer Größe von 3 gelingt das aber ohne Weiteres, haben wir es hier doch mit den wichtigsten sozialen Grundformen zu tun. Am Anfang steht der Einzelne. Wer alleine ist und keiner Gruppe zugehörig, fällt eigentlich aus der Betrachtung des Sozialen heraus. So wie die 1 bei den Pythagoräern nicht als Zahl, sondern als Ursprung und Anfang aller Zahlen angesehen wurde, ist das Individuum die kleinste gesellschaftliche Einheit, die selbst aber noch keine Gesellschaft bildet. Doch, so Simmel, auch der einzelne, isolierte Mensch ist eine soziologische Tatsache, denn die Einsamkeit ist nur denkbar vor dem Hintergrund der Existenz anderer Menschen, sie setzt die Gesellschaft voraus, von der sich der Eremit oder Einsiedler bewusst abwendet oder – wie der Schiffbrüchige Robinson Crusoe – durch ein Unglück abgeschnitten wird. Einsamkeit findet man aber nicht nur auf der sprichwörtlichen Insel. Seit der Moderne ist die typische Gestalt der Einsamkeit gerade nicht die physische Abgeschiedenheit, sondern die Verlorenheit und Fremdheitserfahrung des Einzelnen in der anonymen Menge der Großstadt.
    Wer – ob gewollt oder ungewollt – die Erfahrung der Einsamkeit macht, muss sich in ein Verhältnis zu sich selber setzen. Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho, der sich intensiv mit solchen Praktiken auseinandergesetzt hat, spricht von „Kulturtechniken der Einsamkeit“ und charakterisiert sie „als ‚Verdoppelungstechniken‘, als Strategien der Selbstwahrnehmung“. Man entwickelt ein mentales Gegenüber, einen inneren Gesprächspartner, oder nutzt Medien wie das Tagebuch, sodass sich selbst in der Monade des Einsamen eine Zweiheit bildet. Eine Vielfalt innerer Stimmen wird dagegen gefährlich, sie weist den Weg in den Wahnsinn.
    Sehen wir von diesem Sonderfall ab, ist das kleinste und am einfachsten gestrickte soziale Gebilde die Dyade. Als Erstes kommt einemdas Paar in den Sinn: Mann und Frau, Adam und Eva, Romeo und Julia. Das dyadische Verhältnis beschränkt sich aber nicht auf Liebesbeziehungen oder die Institution der Ehe, es kann ebenso die Form der Freundschaft annehmen. Unter Heterosexuellen gibt es – stets gleichgeschlechtlich, wie uns Bierwerbung und Frauenzeitschriften einbläuen – den einen männlichen „besten Freund“ oder die aus der Schar der Freundinnen hervorragende „beste Freundin“. Das antike Zwillingspaar der Dioskuren Castor und Pollux galt nicht nur den Griechen als Idealbild der unzertrennlichen Freundschaft, sondern wurde auch im literarischen Freundschaftskult der Weimarer Klassik und der Romantik gerne bemüht. So wurden Goethe und Schiller die beiden Dioskuren genannt.
    Heute heißt das „Buddy-Movie“ und ist ein

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