Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
Berater-Grundsatz „Keep it simple!“ bleibt das die Ausnahme. Und was nicht passt, wird passend gemacht. So wird man auf einem Berater-Chart also höchstwahrscheinlich drei, fünf oder sieben Bulletpoints finden, wobei der wichtigste Punkt nach Möglichkeit in der Mitte zu stehen hat.
Was hat es also auf sich mit den kleinen ungeraden Zahlen? Warum glaubte Vergil, dass Gott sich der ungeraden Zahlen erfreue, und warum war Shakespeare überzeugt, dass in ihnen das Glück liege? Für Pythagoras und seine Schüler waren das Gerade und das Ungerade die beiden Elemente oder Ursubstanzen der Zahlen. Der Unterschied zwischen beiden war für sie sehr viel fundamentaler als der zwischen einzelnen Zahlen. Bei den Pythagoräern haben die geraden Zahlen eine Verbindung zum Unendlichen, die ungeraden stehen für das begrenzende Prinzip, das Endliche. Diese Unterteilung lässt sich einreihen in eine von Aristoteles notierte Liste von Gegensatzpaaren, von denen er sagt, dass sie als oppositionelle Prinzipien den gesamten Kosmos strukturieren.
Daraus lässt sich auch eine Verbindung zu den beiden Geschlechtern ableiten, wobei die gerade Zahl mit dem Weiblichen, die ungerade mit dem Männlichen assoziiert wird. Kein Wunder, dass die Sympathien im Patriarchat der alten Griechen eher den ungeraden, also männlichen Zahlen galten und sie auf der Liste der Urbegriffe in direkter Verbindung etwa zum Licht und dem Guten standen – gegenüber der Dunkelheit und dem Schlechten.
Ganz ähnliche, wenngleich etwas differenziertere Assoziationen hegten die alten Chinesen, die sich ebenfalls frühzeitig mit den Sex- und Gender-Aspekten der Zahlen auseinandersetzten, wie Marcus du Sautoy schreibt: „Sie glaubten, dass jede Zahl ihr eigenes Geschlecht hatte – gerade Zahlen waren weiblich, ungerade männlich.“ So weit deckte sich ihre mit der griechischen Vorstellung, jedoch kamen hier zusätzlich noch die Primzahlen ins Spiel: „Sie stellten fest, dass einige ungerade Zahlen ziemlich spezielle Eigenschaften besaßen. 15 Steine lassen sich als drei Reihen zu je fünf Steinen zu einem hübschen Rechteck arrangieren. Mit 17 Steinen kann man dagegen kein regelmäßiges Areal aufspannen: Alles, was man damit tun kann, ist, sie zu einergeraden Linie auszulegen. Für die Chinesen waren Primzahlen deshalb die echten Machos unter den Zahlen. Ungerade Zahlen ohne Prim-Eigenschaft erschienen ihnen dagegen, obwohl sie männlich waren, eher als verweichlicht.“
Damit ließe sich entschlüsseln, warum im Zahlenraum bis 10 ausgerechnet die 3, 5 und 7 eine so exponierte Stellung innehaben. Die 2 scheidet aus, weil sie als einzige Primzahl gerade ist. Die 9 hingegen, das Weichei, zerlegt sich beim ersten Anblick wie von selbst in drei 3er-Bündel. Aber woher kommt überhaupt diese Zuschreibung von Geschlechtlichkeit? Plastisch bis drastisch erläutert der griechische Philosoph und Dichter Plutarch ein paar hundert Jahre nach Pythagoras und Aristoteles, warum gerade gleich XX, ungerade gleich XY sein soll: „Denn bei der Zerlegung der Zahlen in gleiche Teile zerfällt die gerade Zahl ganz und hinterlässt gleichsam in sich einen empfängnisfähigen Schoß, einen Freiraum; bei der gleichen Operation mit der ungeraden Zahl bleibt immer in der Mitte der Teilung ein Glied zurück, wonach sie also zeugungskräftiger ist als die andere.“
Der US-Ethnologe Alan Dundes, der seine Zunft zeitlebens mit kontroversen Thesen aufmischte, vermutet sogar, dass diese Tiefenpsychologie schon in der arabischen Ziffer 3 schlummert: Wenn man sie im Uhrzeigersinn um 90 Grad drehe, erinnere sie an Phallus und Hoden und diene dadurch als universelle Chiffre verschärfter Maskulinität. Schützenhilfe erhält er von keinem geringeren als Sigmund Freud, der in seiner Traumdeutung lapidar feststellte: „Die Dreizahl ist übrigens ein mehrseitig sichergestelltes Symbol des männlichen Genitales.“
Der Germanist Jochen Hörisch hat viel zu den verborgenen Zahlenkonstellationen in der Literatur geforscht. Was das Geschlechterverhältnis der Zahlen angeht, ist er sich weitaus weniger sicher: „Die 3, das Dreieck, hat eine Verbindung zur weiblichen Scham, während die 4 oftmals die männliche Rationalität verkörpert. Andererseits ist die heterosexuelle Liebe immer dual, die Folie à deux , die Freundschaft unter Männern dagegen immer eine Dreieckskonstruktion, die entsprechend bedroht und von Eifersüchteleien gekennzeichnet ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch
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