Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
ist – und das mit großem Abstand. Eine aufschlussreiche Auszählung aus dem Jahr 1998, bei der stichprobenartig 10.000 Kassenbon-Positionen unterhalb von 10,00 DM ausgewertet wurden, ergab, dass viele Zahlenkombinationen als Preise praktisch überhaupt nicht vorkommen, während andere als fokale Preise deutlich hervorspringen. So beläuft sich knapp jeder fünfte Preis entweder auf 0,99 oder 1,99. Die häufigsten zehn Ziffernkombinationen zusammengenommen machen über die Hälfte der real vorkommenden Preise aus. Alle davon enthielten eine oder mehrere 9en. Bis heute dürfte sich daran nicht viel geändert haben, auch wenn der Trend bei den Nachkommastellen weg von der allzu windigen 99 und hin zur 95 oder 90 zu gehen scheint.
Die historischen und regionalen Ursprünge dieser Art der Preisgestaltung liegen im Dunkeln. Erste Hinweise in der absatzwirtschaftlichen Literatur finden sich in den 1930ern. Das diffamierende und glücklicherweise ausgestorbene Synonym „Judenpreise“ aus dem völkisch-deutschen Volksmund deutet indes auf eine länger zurückreichende Tradition hin. Mit dem Siegeszug der Massenkultur scheint sich das Phänomen in allen Industrieländern verbreitet zu haben, wobei der traditionelle Verbreitungsschwerpunkt bei Low-Involvement-Produkten liegt, billigen Artikeln des täglichen Bedarfs. Deshalb assoziiert man die Ikonografie der 9er-Preise automatisch mit einer gewissen marktschreierischen Ästhetik, hierzulande auch „Schweinebauch-Werbung“ genannt.
In den USA scheint dagegen eine noch größere generische Nähe zum Angebot der Fast-Food-Gastronomie zu bestehen. Ein Fakt, den sich die Tex-Mex-Kette Taco Bell im Rahmen ihrer 2008er-Tiefpreis-Kampagnen werblich zunutze machen wollte, indem sie den US-amerikanischen Rapper 50 Cent bat, sich in „79 Cent“, „89 Cent“ oder „99 Cent“ umzubenennen. (Der fand das gar nicht lustig, lehnte ab und antwortete auf eine Verwendung seines Namens mit einer deutlich kostspieligeren Anwaltsklage, die beiden Seiten jedoch einiges an PR einbrachte.)
Der französische Werber Frédéric Beigbeder hat der gängigen Auspreisungspraxis und der damit assoziierten vulgären Konsumpsychologie 2001 mit seinem Roman 39,90 ein Denkmal gesetzt. Nicht von ungefähr entsprach der Titel – wie beim französischem Original 99 francs – auch dem gebundenen DM-Ladenpreis des Hardcovers. Bei deutschsprachigen Publikumsverlagen sind anscheinend auf sämtlichen Niveaus vom edlen Hardcover für 24,90 € bis zum billigen Taschenbuch für 8,95 € die Cent-Endungen 90 und 95 zum Standard geworden. Seltener und eher im Segment der Krimis und Unterhaltungsromane findet man die 99 oder glatte Beträge, noch seltener krumme Summen wie 6,70 €.
Nicht nur im niedrigpreisigen Segment von Fast Food, Lebensmitteln, Büchern und schnelldrehenden Konsumartikeln kommen „gebrochene Preise“, so die offizielle deutsche Bezeichnung, zum Einsatz. Bei Kleinwagen spielt die Schallmauer von 10.000 Euro offensichtlich eine große Rolle. Für 9.990 Euro finden sich im Internet aktuelle Angebote unter anderem für den Fiat Punto Evo, den Daewoo Kalos, den Skoda Fabia, den Peugot 206+ und den Dacia Sandero Stepway.
Apples iTunes-Store war unter anderem deshalb so erfolgreich, weil er als Standardpreis 99 US- und Euro-Cent für ein Musikstück etablierte. Als Amazon 2007 seinen E-Book-Reader Kindle vorstellte, war eines der Haupt-Verkaufsargumente, dass keines der digitalen Bücher aus dem Kindle-Store mehr als 9,99 Dollar kosten würde. Weil es in den USA keine Buchpreisbindung gibt, konnten selbst im Hardcover deutlich teurere Neuerscheinungen quersubventioniert und zu diesem Preispunkt angeboten werden. Das Pricetag „$ 9.99“ wurde zum fokalen Punkt für E-Book-Pricing in den USA und zum Zankapfel in der Debatte darum, was der angemessene Preis für digitale Bücher sei. Inzwischen haben sich mehrere Verlagshäuser gegen das Preisdiktat durch Amazon gestemmt und versucht, Preise über 10 Dollar für ihre E-Books durchzusetzen. Aber die magische Schwelle erweist sich, einmal im Bewusstsein der Buchkäufer verankert, als hartnäckig und langlebig.
Warum sind die 9er-Preise so verbreitet, wo doch der psychologische Trick dahinter hinlänglich durchschaut ist und runde Preise in mancher Hinsicht praktischer wären? Schließlich sind die krummen Summen der Grund dafür, dass sich unsere Hosentaschen und Portemonnaies permanent mit Kleingeld-Münzen füllen, die als eigenständige
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