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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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Begründung, warum sie überhaupt existieren, die Psychologie der Marktteilnehmer. Weil hinreichend viele Anleger davon überzeugt sind, dass diese Schwellenwerte eine Bedeutung haben, bekommen sie erst eine. Anleger passen ihr Verhalten entsprechend an, und die Kurse benehmen sich in den Bereichen um diese Linien herum tatsächlich anders. Ein schöner Beleg dafür, dass eine Situation dann real ist, wenn Menschen sie für real halten, egal wie die objektiven Gegebenheiten im Hintergrund aussehen mögen.
    Es gibt Situationen, in denen wir uns diesen Mechanismus zunutze machen und Vorteile aus dem unvernünftigen Magnetismus der runden Zahlen ziehen können: einerseits, indem wir selbst ihn durchschauen und uns dagegen wappnen, andererseits, indem wir in unser Kalkül einbeziehen, dass und wie der Magnetismus bei anderen wirkt. Ein unmittelbarer Anwendungsfall sind Online-Auktionen auf Ebay, bei denen man selbst einen Maximalpreis festlegen kann, der aber bis zum Auktionsende verborgen bleibt. Ist man Höchstbieter, zahlt man am Ende nur einen minimal, also um eine Preisstufe höheren Betrag, als der Nächstbietende zu zahlen bereit gewesen wäre. Ökonomisch gesprochen handelt es sich dabei um eine second-price sealed-bid auction oder Vickrey-Auktion. Wie bei spieltheoretischen Entscheidungsproblemen generell erhöht man dabei seine eigenen Erfolgsaussichten drastisch, indem man das Verhalten der anderen Wettbewerber richtigantizipiert. Das heißt, auch die Drift der Gegenseite in Richtung fokaler Punkte einzukalkulieren.
    Bietet man auf Ebay etwa auf einen getragenen, aber in gutem Zustand befindlichen Orfina-Chronografen aus den 1980ern, dessen Wert grob geschätzt bei 1.000 Euro liegt, was sich zufällig auch gerade mit der individuellen Zahlungsbereitschaft für diese Uhr deckt, dann ist man gut beraten, nicht exakt 1.000 Euro als Höchstgebot einzugeben. In dem Fall wird man nämlich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit knapp überboten, und die Auktion endet irgendwo unterhalb von 1.100 Euro. „Hüten Sie sich vor prominenten Zahlen!“, rät der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Christian Rieck auf seiner Website Spieltheorie.de, die sich unter anderem ausführlich mit der Frage „Wie viel soll man eigentlich bei Ebay bieten?“ befasst. Die 1.000 Euro entsprechen laut Rieck vermutlich gar nicht unbedingt der wahren Zahlungsbereitschaft, sondern sind aufgrund des Dezimalsystems nur die prominenteste Zahl in dieser Region und damit ein fokaler Punkt, bei dem man einrastet.
    Riecks Empfehlung lautet: „Um auf ein sinnvolleres Gebot zu kommen, addieren Sie daher eine Zufallszahl zu Ihrer groben Wertschätzung dazu. Wie groß diese Zufallszahl sein sollte, hängt von der Genauigkeit ab, mit der Sie Ihre Wertschätzung ermitteln können. Je genauer, desto kleiner die Zufallszahl.“ Bei einer zehnprozentigen Unsicherheit über die eigene Zahlungsbereitschaft biete sich also eine zufällige Zahl im Bereich bis 1.100 Euro an, aber eine, die nach Möglichkeit „schön krumm“ ausfallen solle. Tatsächlich wechselte besagte auf Ebay beobachtete Orfina-Uhr schlussendlich für 1.092,17 Euro den Besitzer. Das Problem bei der Angelegenheit ist – wie häufig in Spielsituationen, wo ein Handelnder die Erwartung von Entscheidungen anderer einbeziehen muss –, dass die Mitbieter ja keineswegs dumm sind und sich meistens einer darunter findet, der ein ähnlich schlaues Kalkül anlegt wie man selbst. So schaukeln sich beide gegenseitig hoch, und am Ende zahlt man doch mehr, als man ursprünglich beabsichtigt hatte – oder wird überboten.
9er-Preise
    Die fokalen Punkte liefern auch eine elegante Erklärung für die allgegenwärtigen 9er-Preise, also jene, die knapp unterhalb einer runden Zahl auf 99, 95 oder 90 enden. Im Englischen heißen sie „charm prices“, weil Kunden mit ihnen umgarnt und eingelullt werden sollen. Die Psychologie dahinter liegt scheinbar auf der Hand: Weil Menschen – zumindest im Westen – Zahlen von links nach rechts lesen, steht vorne eine niedrigere Anfangsziffer: 3,99 statt 4,00. Außerdem wird die naheliegende Preisschwelle, der fokale Punkt, unterboten. Beginnt der Preis mit einer 9 wie in 9,95, vermeidet man zudem bei minimalem Abschlag eine ganze Dezimalstelle, was rein optisch schon weniger Raum einnimmt und dadurch wie ein niedrigerer Preis wirkt.
    Empirisch lässt sich nachweisen, dass insbesondere bei Supermarkt-Preisen die magische 9 die am häufigsten vorkommende Ziffer

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