Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
aus den Zahlenverhältnissen und geometrischen Körpern der Antike ergebe. „Die Geometrie ist einzig und ewig, ein Widerschein aus dem Geiste Gottes“, glaubte Kepler. „Und dass die Menschen an ihr teilhaben, ist mit eine Ursache dafür, dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist.“
Durch Kepler erlebte auch die Sphärenmusik ein Revival, die fixe Idee dass die Planeten abhängig von ihrer Größe und Geschwindigkeit unterschiedliche Töne erzeugten. Zuvor hatte bereits der spätantike Gelehrte Boethius die Idee wieder populär gemacht, dass es neben der „musica humana“, die in Harmonie mit dem menschlichen Körper und der Seele steht, auch eine „musica mundana“ geben müsse, die nach den kosmischen Maßverhältnissen swingt. Seither gab es, angefangen bei Shakespeare über Goethe bis hin zu Mike Oldfield, Anhänger des tönenden Kosmos. Und bis heute reißen die Versuche nicht ab, unter dem Label „musica mundana“ Tonleitern mit den Planetenbahnen zu synchronisieren und daraus Funken für verstiegene E-Musik-Experimente zu schlagen. Selbst die Stringtheorie der avancierten Astrophysik wurde mit der Sphärenharmonie in Verbindung gebracht – schließlich geht es dabei auch im weitesten Sinne um schwingende Saiten, die den Kosmos durchziehen.
Ob die Planeten nun Töne von sich geben oder nicht – unbestreitbar ist, dass Harmonien die ästhetische Wahrnehmung prägen und darüber den kleinsten gemeinsamen Nenner von Musik, Gestaltung und Architektur bilden. Und dass dabei Zahlen und Zahlenverhältnisse im Spiel sind. Auch wenn wir bei Harmonie vielleicht als Erstes an zwischenmenschliche Beziehungen denken, handelt das Konzept doch ursprünglich vom Kosmos, von Schwingungen und dem Verhältnis der Dinge untereinander. Ursprünglich bedeutet das griechische „harmonia“ Einklang oder auch die Zusammenfügung von Gegensätzlichem. Im Kern geht es also darum, wie Dinge unterschiedlicher Größe oder Anzahl zusammenwirken – und ob wir diese Wirkung als stimmig, angenehm, ebenmäßig oder schlicht: schön empfinden.
Auch Takt und Rhythmus in der Musik, Reimschema und Versmaß in der Poetik sind im Wesentlichen nichts anderes als arrangierte Zahlenverhältnisse. Hebt man auf die gegliederte Form im Raum ab, kann man auch von Proportionen sprechen. Der Architekt und Architekturtheoretiker Roger Popp bezeichnet in seiner Arbeit Die Mittelmaße in der Architektur Proportionen als „Ästhetik der Quantitäten“ und erläutert: „Eine Proportion besteht aus mindestens zwei Größen, etwa Länge und Breite eines Raumes. Mehrere Proportionen können ein System bilden, es entsteht die Proportionalität als eine Proportion der Proportionen.“
Wann etwas – ein Gebäude, ein Designobjekt, eine Website – wohl proportioniert erscheint, liegt nicht allein im Auge des Betrachters und hat nicht nur mit seinem subjektiven Empfinden zu tun: Dafür gibt es Regeln. Andererseits sind diese Regeln oft kaum etwas anderes als das formalisierte allgemeine Bauchgefühl, kurz: die Konvention. Sie zu brechen kann ein Holzweg sein, aber ebenso gut die Tür zu fruchtbarem ästhetischen Neuland aufstoßen. Zumindest sollte man die Regeln kennen, bevor man sich über sie hinwegsetzt.
Mit dem Wissen um Regeln ist wiederum die Gefahr verbunden, sie überzubewerten. Man kann darauf hängen bleiben wie auf schlechtem Crack. Der Bildwissenschaftler Erwin Panofsky schickt in seinem Aufsatz zur Proportionslehre die Warnung voraus, dass die Proportionsforschung allzu häufig der Versuchung unterliegt, „aus den Dingen etwas herauszulesen, was sie selbst hineingelegt hat“. Im Klartext: Wer einen Hammer hat, sieht überall Nägel. Wer nach Proportionen sucht, der findet sie – wie Verschwörungstheoretiker die 23 – überall. Dennoch kommt auch Panofsky zum Schluss, dass „die Proportionslehre das häufig nicht ganz leicht in Begriffe zu fassende ‚Kunstwollen‘ in klarerer oder zumindest bestimmbarerer Form zumAusdruck bringt als die Kunstwerke selbst“. Etwas muss also dran sein an den Proportionen.
Goldener Schnitt und Göttliche Teilung
Der Evergreen und Blockbuster unter den harmonischen Proportionen ist der Goldene Schnitt. Damit beginnen aber auch schon die Probleme, indem nämlich jedes halbwegs wohlgeratene Seitenverhältnis für den Goldenen Schnitt gehalten wird. Auch die DIN-Papierformate entsprechen ihm wie gesagt nicht: Ein Blatt von 21 Zentimetern Breite wie beim Format DIN-A4 müsste, um die Proportionen des
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