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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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Erklärwert.“ Auch der Heraldik-Forscher Bernhard Peter, der auf seiner Website selbst zahlreiche anschaulich illustrierte Beispiele für den Goldenen Schnitt in der Kunstgeschichte versammelt hat (dr-bernhard-peter.de), mahnt unter dem Motto „Immer schön kritisch bleiben!“ zur Besonnenheit: „Viele Autoren sind so begeistert vom Goldenen Schnitt, dass sie ihn überall sehen. In der Tat kann man den Goldenen Schnitt irgendwie in jedes Gebäude, jedes Gemälde etc. hineinmessen. Irgendeine Linie wird schon passen!“ Von Dürer wissen wir, dass er darauf aus war, dem Wesen des Menschen über die Form auf die Spur zu kommen, und ihm tatsächlich mit Kreisen, Dreiecken und Linien zu Leibe rückte. Während bei ihm die strenge Komposition über Symmetrien und den Goldenen Schnitt förmlich ins Auge springt (in vielen anderen Bildern verwendet er allerdings das Silberne Rechteck), handelt es sich im Fall der Pyramiden wohl um hartnäckigen Unfug.
    Komplizierter liegen die Dinge bei Leonardo da Vinci. Leonardo war ohne Zweifel mit dem Seitenverhältnis des Goldenen Schnitts vertraut, schließlich hat er Luca Paciolis Buch illustriert. Das heißt aber noch lange nicht zwangsläufig, dass er ihn auch verwendet hat. Der berühmte, einem Kreis und einem überlagerten Quadrat eingeschriebene Vitruv-Mensch von Leonardo, der fast reflexhaft zur Bebilderung des Goldenen Schnitts herangezogen wird, entstammt zwar dem Pacioli-Buch, allerdings einem Teil, in dem es um etwas ganz anderes geht, darum nämlich, wie menschliche Proportionen als Vorlage für die Architektur dienen können. Kreisradius und Seitenkante des Quadrats stehen beim vitruvschen Ideal-Menschen zwar ungefähr im Verhältnis des Goldenen Schnitts, allerdings beträgt die Abweichung immerhin 1,7 Prozent, was deutlich außerhalb der Toleranz für Flüchtigkeitsfehler liegt – leider können wir Leonardo nicht mehr dazu befragen.
    Unschwer überprüfen lässt sich dagegen, dass die Formate der Leinwände, die ja nicht standardisiert waren, sondern von den Künstlern und Werkstätten selbst fabriziert wurden, sich über unterschiedlicheEpochen hinweg bei einem Mittel von 4:5 im Hochformat und 4:3 im Querformat einpegelten – also deutlich von der Proportion des Goldenen Schnitts (annähernd 5:3) abweichen.
    Nur selten findet man eine so eindeutige Bezugnahme, wie beim Parthenontempel in Athen, bei dem vom Verhältnis der Säulen zur Gebäudehöhe bis zu einzelnen Ornamenten jedes Detail auf dem Goldenen Schnitt basiert. Ähnlich ist es beim alten Leipziger Rathaus von Hieronymus Lotter, bei dem der hervorspringende Turm die breite Gebäudefront exakt und mit Ansage im Goldenen Schnitt teilt. Der Bauhaus-Architekt Le Corbusier hat den Goldenen Schnitt seinem Modulor-Raster zugrunde gelegt, das selbst jedoch nicht viel zur Anwendung gelangte (siehe Kapitel XI).
    Von den traditionellen Buchformaten entspricht einzig das Oktavformat ungefähr dem Goldenen Schnitt, wobei das nie auf den Millimeter genau festgelegt wurde. Klassische Bild-, Film- und Fotoformate hingegen hatten nie eine Affinität zum Goldenen Schnitt. Bei der Fotografie dominiert das Seitenverhältnis 3:2, das beim Kleinbild-Film 24 mal 36 Millimetern und bei Abzügen beispielsweise 10 mal 15 Zentimetern entspricht. Auch die Europalette, ein anderes erfolgreiches Standardformat, gehorcht mit 120 mal 80 Zentimetern dem Verhältnis 3:2. Den ästhetischen Vorzug dieser Proportion, der in etwa auch das US-Letter-Format entspricht, sieht Erik Spiekermann insbesondere für Heft- und Buchformate darin, dass es – anders als bei den DIN-Formaten – Proportionssprünge bei der Verdopplung gibt: Klappt man ein Heft im 2:3-Format auf, landet man bei 4:3, „das ist anders, interessant, rhythmisch, ähnlich wie in der Musik bei Quarten und Quinten“.
    Dass der lupenreine Goldene Schnitt in der gestalterischen Praxis eher selten zur Anwendung kommt, mag daran liegen, dass er sich nicht als glatter Bruch, als Wurzel oder ganzzahliges Seitenverhältnis darstellen lässt. Deshalb war er für den Alltagsgebrauch immer zu unpraktisch, sodass Roger Popp seine Tauglichkeit für die Architektur rundheraus anzweifelt: „Wer sich eine Schablone herstellt, ein Dreieck im Goldenen Schnitt, hat auf dem Zeichenbrett keine Schwierigkeiten mit dieser Proportion. Auf dem Bauplatz erscheint die Anwendung des Goldenen Schnitts schwer vorstellbar.“
    In der Musik hat sich der Goldene Schnitt als gänzlich untauglich erwiesen,

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