Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
auch wenn Komponisten wie Béla Bartók damit herumexperimentiert haben. Lediglich in Teilen der bildenden Kunst ist seine Gefolgschaft bis ins 20. Jahrhundert ungebrochen. Der Konstruktivist Piet Mondrian war ebenso bekennender Verwender wie der Comiczeichner Hergé, bekannt durch Tim und Struppi . Die Pariser Splitterfraktion des Kubismus La Section d’Or hat sich gar nach ihm benannt – was jedoch nicht heißt, dass die angeschlossenen Künstler ihn wirklich benutzt hätten.
Generell scheint der Goldene Schnitt besser als Metapher und Denkfigur denn als Praxiswerkzeug zu funktionieren. Zuletzt konnte man ihn sogar auf gänzlich artfremdem Terrain antreffen: in der Diskussion um das rechte Maß bei den Managergehältern. Die waren in der letzten Dekade vor der Finanzkrise vom Zwanzigfachen eines Facharbeitergehaltes teilweise auf das Zweihundertfache geklettert – was einige für deutlich übertrieben hielten. Der brand eins -Autor Manfred Langen verwies in diesem Zusammenhang im September 2007 auf Ergebnisse der Spieltheorie, genauer gesagt: auf das Ultimatum-Spiel. Bei dem geht es darum, dass ein Spieler einen zur Verfügung gestellten Geldbetrag aufteilen und der andere Spieler dieses Angebot entweder akzeptieren oder ablehnen kann, wobei durch Letzteres beide Spieler leer ausgehen würden (siehe Kapitel VIII). Langen bezieht sich dabei auf Werner Güth, einen der führenden Spieltheoretiker in Deutschland und Miterfinder des Ultimatum-Spiels: „Er hat mit weiteren Autoren in zahlreichen Studien die Ergebnisse erfasst und statistisch ausgewertet. Die experimentellen Ergebnisse liegen im Mittel nahe am Teilungsverhältnis 62:38, was etwa einem Faktor 1,62 entspricht“ – und damit ziemlich exakt dem Verhältnis des Goldenen Schnitts, wodurch dieser zum scheinbar naturwüchsigen Gardemaß für Fairness wird.
Multipliziert man diese Abstufung über sechs Hierarchiestufen, was mehr ist, als bei den meisten Konzernen zwischen Facharbeitern und Topmanagern liegt, landet man bei einem Faktor von 18 – womit gezeigt wäre, dass das zwanzigfache Gehalt bereits als ungerecht anzusehen ist. Warum der Manager überhaupt mehr verdienen muss als der Facharbeiter, lässt sich allerdings mit dem Goldenen Schnitt allein auch nicht begründen.
Fibonacci und die Folgen
Die eigentliche Erklärung für die große Bedeutung und anhaltende Popularität des Goldenen Schnittes liegt außerhalb der Kunstgeschichte, nämlich darin, dass er ein paar einflussreiche Freunde und Verbündete in der Natur hat: die Fibonacci-Zahlen.
Ihr Entdecker hieß eigentlich Leonardo Bonacci, wurde Ende des 12. Jahrhunderts in Pisa geboren und reiste, bevor er zum bedeutendsten Mathematiker des Mittelalters werden sollte, als Kaufmann durch Nordafrika und kreuz und quer über das Mittelmeer. Dabei kam er mit den neuen arabischen Ziffern in Kontakt und begann, damit herumzuspielen. Was, wenn man diese Ziffern nicht wie herkömmlich in dichter Abfolge hintereinander anordnet, sondern so arrangiert, dass die nächste Zahl sich stets als Summe aus den beiden vorherigen ergibt, wobei die 0 und die 1 als Anfangspunkte gesetzt sind? Damit landete er bei einer rasant anwachsenden Zahlenfolge. Die ersten zwölf Fibonacci-Zahlen lauten: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89.
Man erkennt auf einen Blick, dass der Kurvenverlauf der Zahlenreihe schnell an Dynamik gewinnt. Zur Veranschaulichung wählte Fibonacci eine scheinbar triviale Fragestellung: Wie viele Kaninchen können in einem abgegrenzten Gelände unter Idealbedingungen entstehen, wenn neue Paare nach zwei Monaten erneut Junge zeugen können und keines der Kaninchen jemals stirbt? Die Antwort liefert die Fibonacci-Folge. Sie selbst ist gewissermaßen der Natur abgelauscht. Deshalb ist es auch kein metaphysischer Zufall, dass sich die Fibonacci-Zahlen an vielen Stellen finden, wo natürliche Wachstumsprozesse im Spiel sind: bei Verästelungen von Bäumen, in Tannenzapfen oder bei den Kernen von Sonnenblumen.
Der Chemiker Friedrich Cramer und der Schriftsteller Wolfgang Kaempfer, die sich in ihrem Buch Die Natur der Schönheit auf die Suche nach der Geburt der Schönheit aus der Dynamik der Natur machen, beschreiben, wie dieser Prozess stufenweise zur Form gerinnt: „Die Zellen des Organismus (oder Elemente davon) gelangen in einen stofflich-energetisch hochaufgeladenen (in heutiger Sprache aufgetankten ) Zustand, der ‚Druck‘ entlädt sich in einem morphogenetischen ‚burst‘, die nächste
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