Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
gutes Stück weiter vom papierlosen Büro entfernen würden, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass A3 das neue A4 wird und es irgendwann auch iPads in diesem Format geben wird, mit denen man beim Sitznachbarn im Flugzeug aneckt wie heute mit der Tageszeitung.
Porstmann, jedenfalls, beließ es nicht bei der geometrischen Ähnlichkeit, die bewirkt, dass ein Blatt nach dem Falten dasselbe Seitenverhältnis aufweist wie vorher, sondern passte das Ganze ins metrische System ein, indem er das Format A0 bei einer Fläche von einem Quadratmeter verankerte. Ein A4-Blatt hat demnach genau die Fläche von 1/16 oder 0,0625 Quadratmetern. Wenn wir das standardmäßige 80 g/m 2 -Papier verwenden, wissen wir, dass ein Bogen exakt 5 Gramm wiegt. Drei Seiten können in Deutschland also problemlos ohne Nachwiegen für 55 Cent Porto verschickt werden, bei vier Seiten wird die 20-Gramm-Grenze überschritten und der Brief kostet 90 Cent.
Neben der A-Reihe, die vor allem bei Druckwerken und Papierbögen von der Visitenkarte (A8) bis zum großflächigen Werbeplakat („18 Eintel“, also 18 mal A1) zum Einsatz kommt, entwickelte Porstmann flankierende B-, C-, D- und E-Reihen. Die B- und C-Reihe gelten für Kuverts und Mappen, die E-Reihe für Klarsichthüllen und Aktendeckel, D umfasst die Sonderformate. Viele Industrieprodukte von der DVD-Hülle bis zum Billy-Regal orientieren sich an diesen Standards, was erklärt, weshalb DVDs so genau in dessen Fächer passen. Gemeinsam ist all diesen Formaten, dass sie dem Prinzip der Selbstähnlichkeit gehorchen, dem „Silver Rectangle“, wie das Lichtenberg-Verhältnis seltsamerweise nur im Englischen genannt wird – meist verbunden mit einem Seufzen darüber, wie viel praktischer dessen Formateigenschaften gegenüber dem sperrigen US-amerikanischen Letter-Format sind. Erik Spiekermann hält das DIN-Format zwar für „eine ästhetische Katastrophe“, sieht seine Vorzüge aber ebenfalls darin, dass es „unglaublich praktisch“ ist. Mit der Bezeichnungals „Silbernes Rechteck“ wird darüber hinaus angedeutet, dass es sich beim Seitenverhältnis des DIN-Formats dezidiert nicht um die Proportionen des Goldenen Schnitts handelt, was häufig angenommen wird.
Saitenverhältnisse und Sphärenklänge
Dass Seitenverhältnisse Probleme bereiten, wenn sie aus der Selbstähnlichkeit ausscheren, weiß jeder, der in den vergangenen Jahren einer Konferenz oder einem Kongress mit vielen gebeamerten Präsentationen beigewohnt oder auch nur ferngesehen hat. Die längste Zeit war die nahtlose Überführbarkeit durch das standardmäßige 4:3-Format gewährleistet, das noch auf Thomas Alva Edison zurückgeht und etwas kompakter ist als das „Silberne Rechteck“. Seit Laptop-Screens, Flachbildschirme und das ausgestrahlte Fernsehprogramm sich in Richtung 16:9 oder hin zu noch schlankeren Querformaten entwickeln, regiert das Chaos. Überall sieht man „Trauerbalken“, die früher nur das Kinoformat auf die Mattscheibe brachte – inzwischen findet man sie sogar an den Seitenrändern, wenn etwa eine PowerPoint-Präsentation im 4:3-Format auf einem 16:9-Beamer läuft. Köpfe, Abbildungen und Schriften werden verzerrt oder gestaucht, dass es im Kopf nur so knirscht – ein schlagender Beweis dafür, dass Seitenverhältnisse viel mit Harmonie zu tun haben.
Auch für die Pythagoräer, die ja im eigentlichen Sinne weniger rechneten als zählten und zeichneten, waren Seitenverhältnisse der Schlüssel zur Harmonie im Zahlenreich. Sie wähnten darin eine Verbindung zum Lauf der Planeten, von denen sie glaubten, dass ihre Bewegung Töne verursache: die „Sphärenharmonien“, die wir nur aufgrund unserer schlechten Ohren nicht zu hören imstande wären. Die Pythagoräer brachten sie auf der Erde mittels eines simplen Bretts zu Gehör, auf das eine Saite gespannt war: das Monochord, damals „Kanon“ genannt. Die Klänge und Obertöne wurden erzeugt, indem die Saite mit einem verstellbaren Steg geteilt wurde. Die wesentlichen Teilungsverhältnisse der Saite ergaben sich schon aus der Tetraktys: Ein Verhältnis von 2:1, bei dem sich die Schwingungen genau verdoppeln, war eine Oktave, 3:2 eine Quinte, 4:3 eine Quarte und so weiter.
Johannes Kepler knüpfte Anfang des 17. Jahrhunderts mit seiner Harmonice Mundi , der Weltharmonik , an diese Gedanken an. Darin beschrieb er nicht nur die Planetenbahnen, sondern versuchte, den Nachweis zu führen, dass das Universum eine einzige göttliche Harmonie bilde, die sich
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