Was soll denn aus ihr werden?
gehören, wenn ich sie sehe; die Hauptpersonen vergesse ich nicht.«
Damit beruhigte sich denn auch Dorothea. Die Zurüstungen gingen rasch vor sich. Dori blieb keinen Augenblick untätig, und da es nicht galt, irgendeinen Beschluß zu fassen, war auch Dorothea mit Mut und Kraft an der Arbeit. Kaum waren vierzehn Tage vergangen, so standen eines Morgens die Kisten alle fertig da, die Zimmer waren kahl und leer, es war für die Scheidenden der letzte Tag im Felsenhaus, am frühen Morgen des andernTages sollte aufgebrochen werden. Als die Mutter gegen Abend noch einmal von Kiste zu Kiste ging und jedes Paket noch einmal untersuchte, ging Dori leise zur Tür hinaus. Sie stieg hinauf an den altbekannten Häusern und Hütten vorbei bis dahin, wo am Monte rosso die Kastanienbäume dichter werden, und der einsame Waldweg an der Mauer hinführt. Dort hatte sie mit ihrem Körbchen gestanden vor vier Jahren, als das kranke Fräulein sie getroffen und ihr ein Liederbuch geschenkt hatte. Noch besaß sie das kleine Buch. Wie oft hatte sie das kurze Lied noch gelesen, das sie an des Vaters letzte Stunden erinnerte. Sie liebte es vor allen. Jetzt begannen drüben auf allen Türmen die Abendglocken zu läuten, immer wieder eine und noch eine, und alle hallten harmonisch ineinander und lieblich klangen die Töne zu Dori herüber; das hatte sie hören wollen. Der Abendschein vergoldete über ihr das Laub in den Kastanienbäumen, an der Mauer schimmerten und nickten die kleinen Blumen wie zum Abschied. Die Glocken sangen so rührend dazu, als wüßten sie's, daß sie zum letztenmal für sie ertönten. Dori wischte sich die Tränen weg und lief heim. Am frühen Morgen stand die alte Maja mit den Kindern unter Dorotheas Tür, es galt Abschied zu nehmen. Immer wieder flehte die Alte unter vielen Tränen: »Kommen Sie doch wieder, Frau Maurizius! Ach, Dori, komm nur auch wieder heim! Wirst du auch bald wieder kommen?«
Detto und Marietta streckten immer wieder die Hände und riefen fröhlich: »Ja, ja! komm dann bald wieder, Dori! Aber komm auch recht bald!«
Giacomo stand ganz bleich da, es war, als seien seine Augen noch viel schwärzer geworden, es war kein Leuchten mehr darin. Er streckte Dori seine Hand hin, er konnte kein Wort sagen.
Jetzt stiegen Dorothea und ihr Kind den Felsenweg hinunter, Suma zu, dort wollten sie das Schiff besteigen. Als Dori an der Kapelle vorüberkam, warf sie einenBlick hinüber zur Mauerterrasse und zu den großen Steinen, wo sie mit dem Vater so oft und zuletzt noch gesessen hatte; dann ging sie schnell weiter. Beim alten Turm wollte sie rasch einbiegen, nur einen Sprung nach der Sonnenseite hin tun und einen letzten Blick ins Tal hinabwerfen. In dem Augenblick hörte sie ein wiederholtes Schluchzen hinter sich. Sie kehrte sich um; Giacomo kam herangestürzt. Er umklammerte Dori und laut aufweinend rief er: »Ich kann's nicht aushalten, Dori, es ist wie damals, da die Mutter starb.«
»Ach, Giacomo«, sagte Dori, und hielt den weinenden Knaben fest, »ich kann nichts machen, es drückt mir auch fast das Herz ab.«
Und nun fing Dori auch zu weinen an und die lang verhaltenen Tränen waren von solchem Schluchzen begleitet, daß Giacomo selbst in seinem Jammer es hören mußte. Zum zweitenmal war es eine Linderung und Stillung des Schmerzes für den tief erregten Jungen, daß Dori mit ihm litt und mit ihm weinte. Er suchte jetzt sich zu fassen und sagte,seine verweinten Augen zu Dori erhebend: »So sag es mir nur einmal sicher, Dori, daß du wieder kommst, dann kann ich es eher aushalten.«
»Ja, Giacomo, einmal komm ich gewiß wieder, das glaube ich«, sagte Dori, »wie und wann, weiß ich ja nicht, aber tu mir's zuliebe und weine nun nicht mehr so. Hilf daheim der alten Großmutter, daß es ihr nicht zu schwer wird, du kannst es schon, Giacomo, und du allein kannst und mußt es jetzt tun.«
Giacomo nickte bejahend, reden konnte er nicht mehr, da ihm Dori nun zum letzten Male die Hand drückte und dann der Mutter nachlief, die schon weit voraus war. Die schwarzen Augen schauten unverwandt den Weg hinab, bis Dori unten beim steinigen Bach hinter den Büschen verschwunden war.
Sechstes Kapitel
Eine milde Herbstsonne schien auf die steinerne Treppe am alten Doppelhaus, das mit seinen festen Giebeln der Seite zuschaute, wo die hölzerne Brücke über den rauschenden Inn führt. Auf beiden Seiten der Haupttür war der viereckige Treppenplatz mit steinernen Bänken eingefaßt, wo die Bewohner des Hauses
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