Was soll denn aus ihr werden?
nichts war. Ich wünschte, Sie Italienisch lesen zu hören und zu wissen, wie ich Ihr Verständnis der Sprache und Ihre Art zu übertragen zu beurteilen hätte, da ich Ihnen einen Vorschlag machen möchte: Wie wäre es, wenn ich täglich eine Stunde aus den deutschen Werken, die Ihr Vater liebte, mit Ihnen lesen und Ihnen alles erklären würde, was Sie wünschen sollten? Dafür würden Sie mir ein italienisches Werk vorlesen und dazwischen mich vorlesen lassen und mich aufmerksam machen, wo meine Betonung nicht richtig wäre. Sie lesen gut, so viel kann ich schon beurteilen, und nach allem, was Sie mir erzählt haben, müßte es Ihnen nicht unlieb sein, die Werke, die Ihr Vater liebte, mit mir durchzulesen.«
Dori war so entzückt von dem Vorschlag, daß sie erst vor Freude gar keine Worte fand, sie konnte nicht glauben, daß sie wirklich dem gelehrten Herrn gegen die Wohltat, die er ihr erweisen wollte, etwas zu bieten habe. »Ich kann Ihnen gar nicht genug danken für Ihr Anerbieten, Herr Doktor«, sagte sie endlich in hoher Freude, »ich muß es gleich meiner Mutter mitteilen. O, wenn ich Ihnen doch wirklich etwas dagegen bieten könnte!«
»Das können Sie wirklich«, bezeugte er bestimmt und bot Dori die Hand zur Bestätigung.
Dori kam in großer Erregung zu ihrer Mutter zurück, die in Spannung und Verwunderung ihrer harrte, denn sie hatte ihren Hausbewohner eintreten gesehen und seitdem unaufhörlich gelauscht, ob Dori noch nicht herunterkomme. Sie teilte Doris Freude bei ihrer Mitteilung; wie gönnte sie ihrem Kinde diese so lang ersehnte Vervollkommnung der Kenntnisse, die der Vater so sehr für sein Kind gewünscht, daß er so früh, als es nur anging, mit seiner Anleitung begonnen hatte. Leider war ja sein Unterricht so früh abgebrochen worden.
»Wie würde der Vater sich darüber freuen!« waren Dorotheas erste Worte nach der Mitteilung. Bei jeder Frage, die des Kindes Weg und Leben betraf, war jaimmer ihr erster Gedanke: »Was würde der Vater dazu sagen?«
Gleich am folgenden Tage, sobald Dorothea hörte, daß Doktor Strahl von seinen Morgengängen zurückgelehrt war, stieg sie in sein Zimmer hinauf, um ihm für sein Anerbieten zu danken und ihn zu bitten, wenn ihn die Sache ermüden sollte, so möchte er es doch gleich aussprechen, vielleicht stelle er sich vor, Dori sei viel vorgerückter in ihren Kenntnissen, als es wirklich der Fall sei, und diese Unterrichtsstunden könnten ihn mehr angreifen, als er sich denke.
Der Doktor beruhigte Dorothea über ihre Besorgnisse und sagte ihr, die gestrige Unterhaltung mit ihrer Tochter habe ihm so viel Genuß bereitet; daß er sich nun selbst wahrhaft darauf freue, die Lesestunden mit der lebendigen Schülerin zu beginnen, wie auch nachher die Schülerin als Lehrerin kennen zu lernen, von welchem Verkehr er keinen geringen Gewinn für sich selbst erwarte. Er wollte noch von Dorothea wissen, ob das Mädchen Gedichte mache für sich, oder viele solche lese.
Sie antwortete, das erstere glaube sie nicht, sie wenigstens wüßte gar nichts davon. An Gedichten habe schon ihr Mann viel Freude gehabt und Dori viel solche auswendig lernen lassen. Auch habe er soviel mit seinem Kinde gesungen, daß die Tochter eine Menge von schönen Liedern kenne.
Das weltabgeschiedene Leben, das der Maler mit seiner Familie in der schönen Gegend geführt hatte, beschäftigte den Doktor lebhaft, er hatte immer noch eine Frage darüber an Dorothea zu tun, und sie erzählte gern von den schönen, vergangenen Tagen.
Dori sah ihrem neuen Unterricht mit solchem Verlangen entgegen, daß sie seit gestern an nichts anderes mehr dachte und nur immer befürchtete, es könnte noch ein Hindernis aufsteigen und sie ihres Glückes berauben. Als die Mutter so lang von ihrem Besuche nicht wiederkehrte, sah Dori ihre Befürchtung schon verwirklicht und
ganz niedergeschlagen rief sie der endlich eintretenden Mutter entgegen: »Ja, ich kann mir's schon denken, natürlich, nachdem er nachgedacht, hat er eingesehen, wieviel Zeit er verlieren würde, und nun ist ihm alles verleidet; er will nicht mehr.«
Aber die Mutter konnte Dori beruhigen, daß es nicht so sei, daß der Herr Doktor gleich morgen beginnen und immer die Stunden des Vormittags zu dem gemeinsamen Lesen verwenden wolle, so komme am wenigsten Störung hinein.
Dorothea konnte gar nicht genug sagen, wie freundlich der sonst so einsilbige Mann mit ihr gesprochen und allen ihren einfachen Beschreibungen, die sie ihm von ihrem Leben in
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