Was Soll Ich Tun
Verzeihung
gönne ich ihm nicht.
Vergebung heißt nicht,
dass die alte Beziehung
wieder möglich wird.
Der Missbrauch ist eine tiefe Wunde, die man nicht einfach übergehen kann. Die Hoffnung auf eine neue Vertrautheit würde ich dem früheren Freund nicht geben. Aber verzeihen sollten Sie schon. Denn wenn Sie nicht vergeben, ist die negative Energie, die durch die Verletzung noch in Ihnen ist, weiter in Ihnen wirksam. Vergebung heißt nicht: Alles vergessen und wieder eine ganz normale Beziehung zum anderen eingehen. Vergebung heißt zuerst einmal: Ich befreie mich von dernegativen Energie, die durch die Verletzung noch in mir ist. Wenn ich nicht vergebe, bin ich noch an den anderen gebunden. Aber ich kann nur vergeben, wenn ich den Schmerz über die Verletzung nochmals zulasse und dann auch die Wut zulasse, die den anderen aus mir hinauswirft. Sie sollen sich also nicht wieder neu missbrauchen lassen, indem Sie dem Wunsch des anderen nachgeben. Überlegen Sie sich, was Sie für sich tun können, damit Sie frei werden vom Missbrauch. Das Gefühl, dass etwas in Ihnen eingefroren ist, tut Ihnen auch nicht gut. Vergebung kann durchaus so aussehen, dass Sie keinen Kontakt mehr zu dem früheren Freund wünschen. Aber das ist nicht feindlich gemeint, sondern als Schutz vor neuer Verletzung. Ich würde an Ihrer Stelle diesem Menschen, der erneut den Kontakt mit Ihnen sucht, einen Brief schreiben, in dem ich meine Gefühle ausdrücke. Der Brief sollte keine Vorwürfe enthalten. Ich würde klar schreiben, dass ich ihm vergebe, aber trotzdem keinen Kontakt wünsche: Es ist wichtig, dass die alte Wunde nicht wieder aufbricht. Dann bleiben Sie bei sich. Sie haben vergeben. Aber Sie zeigen ihm auch, dass er sich den Folgen seines Missbrauchs zu stellen hat. Das höre ich aus Ihrer Bemerkung heraus, dass Sie ihm diese Bequemlichkeit nicht gönnen. Darin liegt etwas Gesundes: Sie wollen nicht, dass er durch ein Gespräch alles wieder gut oder gar ungeschehen machen möchte. Das geht nicht. Er muss sich bewusst werden, was er getan hat. Und Vergebung heißt nicht, dass die alte Beziehung wieder möglich wird. Trauen Sie also Ihrem Gefühl. Aber schaden Sie sich selbst nicht, indem Sie die Vergebung verweigern.
E ine bald 90 Jahre alte Freundin, geistig immer noch sehr wach, zeit ihres Lebens immer sehr selbständig gewesen, mit einem großen Freundeskreis, der sich auch jetzt noch um sie kümmert, ist von ihrer Tochter, die weit entfernt wohnt, nach einer kurzen Krankheit gedrängt worden, in ein Altersheim zu gehen. Die Freundin hat mich angerufen in ihrer Verzweiflung, und ich weiß nicht, ob ich mich nicht stärker für sie hätte einsetzen sollen. Ich habe ihr geraten, zunächst nur einmal „auf Probe“ ins Heim zu gehen. Aber ich habe mich gescheut, mich mit der Tochter in Verbindung zu setzen, obwohl ich das Gefühl habe, dass sie in diesem Heim, in dem sonst fast nur demente Alte sind, „eingehen“ und verkümmern wird.
War ich zu feige?
Vorwürfe führen nicht weiter.
Es ist wichtig, auch die Sorgen
der anderen zu verstehen.
Ich würde an Ihrer Stelle nicht mit der Tochter der Freundin sprechen. Denn ich glaube nicht, dass das viel bringen wird. Ich würde vielmehr die Freundin fragen, ob Sie wirklich ins Heim gehen möchte oder ob sie es sich zutrauen würde, noch allein zu leben. Und ich würde mit ihr über die Verletzung sprechen, die sie von ihrer Tochter erfahren hat. Was löst der Wunsch der Tochter in ihr aus? Wenn sie über diesen Schmerz sprechen kann, wird sie entweder Verständnis für den Wunsch der Tochter haben oder aber in sich die Kraft spüren, den eigenen Weg zu gehen. Siemuss ja nicht ins Heim gehen. Sie kann ja offensichtlich noch für sich sorgen. Und vielleicht kann sie ihren Freundeskreis bitten, für sie zu sorgen. Irgendwann wird dann der Zeitpunkt sein, doch ins Heim zu gehen. Aber es tut der Freundin nicht gut, sich drängen zu lassen. Sie braucht möglicherweise noch Zeit. Und sie soll den Zeitpunkt selbst bestimmen, wann es für sie stimmt, ins Heim zu gehen. Sie können die Freundin auch fragen, ob Sie mit ihrer Tochter sprechen sollen. Nur wenn die Freundin das selber wünscht, würde ich es tun. Aber das Gespräch müsste frei von Vorwürfen sein. Das würde nicht weiter führen. Sie sollen vielmehr auch die Sorge der Tochter verstehen. Vielleicht ergibt sich dann ein Weg, dass der Freundeskreis und die Tochter gemeinsam nach einem Weg suchen, einen Sorgedienst für die
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