Was uns glücklich macht - Roman
seinem vollen Vornamen ansprechen könnte.
»Das passt schon«, habe ich damals zu ihm gesagt, »für mich fühlst du dich jetzt eher an wie ein Phil.«
Als er sich jetzt also mit seinem vollen Vornamen anmelden ließ, erstarrte ich.
»Ms. Emerson«, sagte der Portier nach einem Augenblick zögernd, »soll ich Ihren Besuch hochschicken?«
Na, wenn das mal keine interessante Frage war.
Einerseits war er wirklich der Letzte, den ich sehen wollte, andererseits brannte ich darauf, ihn zu sehen. Welche Seite setzt sich in so einem Fall durch? Ehrlich, auf die Entscheidungen, auf die es im Leben wirklich ankommt, wird man in keiner Weise vorbereitet. In der Schule lernt man rechnen und wie man schön mit anderen Kindern spielt, es gibt Bücher, die einem bei allem helfen, sei es nun Meditation oder wie man ein Atomkraftwerk abbaut, aber niemand sagt einem, was man tun soll, wenn man der eigenen Sterblichkeit direkt ins Gesicht blickt und der Mann, der einem das Leben ruiniert hat, plötzlich mit einer beschwichtigenden Eröffnung bei einem auftaucht.
»Natürlich«, hörte ich mich sagen. »Schicken Sie ihn hoch.«
Dann war ich wie auf Autopilot, ging vom Wohnzimmer ins Arbeitszimmer und sah in einen Spiegel. Nicht schlecht. Er hatte mich nicht mehr gesehen, seit ich meinen Job gekündigt habe. War das wirklich erst ein paar Monate her? Es fühlte sich an wie ein anderes Leben.
Ich ging zum Sofa und setzte mich mit untergeschlagenen Beinen darauf, atmete tief ein, hielt den Atem, ließ ihn langsam entweichen. Dann noch einmal, halten, ausatmen. Immer wieder, so tief es ging.
Möge ich von liebender Güte erfüllt sein
Möge es mir gut gehen
Möge ich Frieden und Gelassenheit empfinden
Möge ich glücklich sein
Als es klingelte, drückte ich auf den Türöffner, um Phillip hereinzulassen. Ich hatte die Augen immer noch geschlossen und fuhr fort mit meinen Atemübungen. Ich hörte, wie die Tür geöffnet und dann leise geschlossen wurde. Schritte auf dem Holzboden, laut, wie nur teure Lederschuhe klingen können. Dann hielten die Schritte inne, ich hörte neben meinem eigenen nun auch seinen Atem, aber ich machte die Augen nicht auf, bis er etwas sagte.
»Hi, Kat«, sagte er mit seinem kratzigen Bariton. »Du bist die reinste Augenweide.«
Ich atmete ein letztes Mal tief ein, atmete aus, und dann öffnete ich die Augen. Der Mann, der vor mir stand, war kaum wiederzuerkennen. Zum ersten Mal seit all den Jahren, die ich ihn nun schon kannte, vom Knaben namens Phillip bis zum Mann Phil, vom imponierendsten Studenten an der renommiertesten Wirtschaftsuni des Landes zum klügsten Geschäftsführer an der Wall Street, konnte ich nichts von alledem in ihm erkennen. Es war, als hätte sein Geist den Körper verlassen, als hätte er nur Glieder und Fleisch hinterlassen. Er war bleich und fahl, seine Lippen waren aufgeplatzt. Außerdem wirkte er aufgedunsener, als ich ihn je gesehen hatte.
»Meine Güte, Phil, du siehst vielleicht beschissen aus«, sagte ich. »Angeblich bin doch ich diejenige, die hier sterben soll, was zum Teufel ist los mit dir?«
Als er das hörte, blieb er wie angewurzelt stehen. So reden die Leute nicht mit ihm, nicht einmal ich, auch nicht damals.
Es sprach für ihn, dass er zu lachen begann. Nicht nur ein leises Glucksen, sondern ein herzhaftes Lachen, das tief aus seinem Innersten kam, ein Lachen, wie ich es seit Harvard kaum noch von ihm zu hören bekommen hatte. Die Wall Street ist auch kein besonders komischer Ort. Es war schön, ihn so lachen zu sehen, er wirkte gesünder, aber trotzdem klang er schrecklich. Ich hörte es an seiner Brust, an den tiefen Atemzügen, die er zwischen den Lachsalven tat, am keuchenden Einatmen.
»Du rauchst wieder, stimmt’s?«
Er warf die Hände in die Luft. »Schuldig im Sinne der Anklage.«
Ich seufzte und klopfte auf den Platz neben mir auf dem Sofa. »Komm setz dich«, sagte ich. »Du siehst aus, als müsstest du dir etwas von der Seele reden.«
Und dann redete er, allerdings ohne sich zu setzen. Als Erstes zog er eine Zigarette aus der Brusttasche seines Sportsakkos und spielte nervös damit. Schweigend sah ich zu, bis er ein silbernes Feuerzeug aus der Hosentasche fischte.
»Falls du es nicht bemerkt haben solltest«, sagte ich, »habe ich ein paar kleine gesundheitliche Probleme.«
»Tut mir leid«, sagte er und drückte die Zigarette an seinem Absatz aus, obwohl er sie gar nicht angezündet hatte. »Ich nehme an, das ist mal wieder typisch
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