Was uns glücklich macht - Roman
atmete tief durch. Die Luft roch immer noch frisch und salzig.
»Was hast du zu ihm gesagt?«, fragte ich.
»Liebling, als ich auf dem College war, hat in meinem Haus ein hünenhafter Typ gewohnt. Er hieß Alvin. Er war einfach riesig, über zwei Meter, und sehr muskulös. Und er war ein Schwachkopf und ein Dieb. Eines Tages habe ich entdeckt, dass aus meinem Zimmer ein paar hundert Dollar – damals alles Geld, das ich hatte – verschwunden waren. Ich war mir sicher, dass Alvin sie geklaut hatte. Weißt du, was ich getan habe?«
»Du hast die Sache auf sich beruhen lassen und ihm das Geld überlassen?«
»Nein.«
»Du hast ihn konfrontiert?«
»Nein«, sagte mein Vater, »nicht direkt.«
»Dad, was hast du dann gemacht?«
»Ich habe ihm einen Zettel ins Zimmer gelegt, auf dem stand, ich wüsste, dass er das Geld genommen hat, und dass ich die Sache nie wieder erwähnen würde, wenn er mir das Geld einfach zurückgeben würde.«
»Und?«, fragte ich.
»Und was?«
»Was ist mit dem Geld passiert?«
»Um ehrlich zu sein, Liebes, ich kann mich gar nicht richtig erinnern.«
»Dad«, sagte ich, »du entwickelst die bestürzende Angewohnheit, Geschichten zu erzählen, die mit der momentanen Lage überhaupt nichts zu tun haben.«
Wieder lachte er in sich hinein.
»Vielleicht hast du recht«, meinte er. »Vielleicht werde ich alt. Aber jetzt erzähle ich dir, was ich zu Robert gesagt habe, als er vorhin angerufen hat.«
Ich war mir gar nicht sicher, ob ich hören wollte, was er gesagt hatte. Ich schloss die Augen.
»Ich habe deinem Mann gesagt, dass ich im Leben schon viel Glück gehabt hätte, mein größtes Glück aber darin bestünde, dass ich dir, Samantha, noch nie in einer Vorstandsetage begegnet bin. Du hättest mir eine Höllenangst eingejagt, denn du, Liebes, bist die einzige Person in meinem Leben, die noch taffer ist als ich.«
Nun konnte ich die Tränen überhaupt nicht mehr bezähmen, und ich hielt mich auch nicht weiter damit auf, es zu versuchen.
»Warum hast du das gesagt?«, fragte ich.
»Aus dem besten Grund, aus dem man etwas sagen kann«, erwiderte mein Vater. »Weil es die Wahrheit ist.«
»Ich möchte meine Ehe annullieren lassen, Dad. Hilfst du mir dabei?«
»Das ist die beste Idee, die du seit langem hattest. Robert ist ehrgeizig, Samantha. Ich sehe das, weil ich selbst einmal ehrgeizig gewesen bin. Vielleicht bin ich es noch, bis zu einem gewissen Punkt. Er hat sofort erkannt, dass du die richtige Frau bist für das, was er in Zukunft einmal sein möchte, Gouverneur oder Präsident oder wohin ihn sein Ehrgeiz auch sonst führen mag. Du hast den richtigen Hintergrund, die richtige Familie, das richtige Aussehen. Ich mache ihm keinen Vorwurf daraus, dass er dich heiraten wollte.«
Er hielt einen Augenblick inne.
»Das Problem dabei ist, Liebes, dass Robert ein Arschloch ist. Und an dieser schlichten Tatsache wärst du irgendwann nicht mehr vorbeigekommen. Dass du es so schnell rausgefunden hast, ist vermutlich das Beste, was passieren konnte.«
Ich musste wieder lachen. »Danke, Dad«, sagte ich. »Ich glaube, ich bleibe noch ein Weilchen auf Hawaii.«
»Klingt nett«, sagte er. »Hier ist es mitten in der Nacht, Liebes. Gleich morgen früh setze ich ein paar Anwälte ins Flugzeug, die das Ganze für dich regeln. Sie holen alles, was du zurückgelassen hast, und ersetzen alles, was fehlt.«
»Mir geht’s bald wieder gut, Dad«, sagte ich. Ich meinte es auch so.
»Ich weiß«, sagte er. »Ruf mich morgen an. Und wenn Robert bei dir auftaucht, rate ich dir, ihn so heftig in die Eier zu treten, wie du nur kannst.«
»Ich hab dich lieb, Dad«, sagte ich.
»Ich dich auch.«
Ich bin achtundzwanzig Jahre alt und habe mich meinem Vater nie nahe gefühlt. Er ist ein so mächtiger Mann, und statt ihn dafür zu bewundern, wie es viele kleine Mädchen getan hätten, nahm ich es ihm übel. Mein Vater gab mir nie das Gefühl, als wäre ich der wichtigste Mensch in seinem Leben. Ständig war er bei einem Meeting oder telefonierte oder kam erst kurz vor meiner Schlafenszeit nach Hause, sodass ich ihm noch die Arme um die mächtigen Schultern legen und ihm einen Gutenachtkuss geben konnte, ehe es ab ins Bett ging – bevor ich ihn am Ende eines langen Tages nerven konnte. Vielleicht hat mich das so an Robert gereizt. Er ist auch ständig in einem Meeting oder telefoniert, und vielleicht hat er bloß deswegen mehr Zeit mit mir verbracht als mein Vater, weil ich ihm nützlicher sein
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