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Was uns glücklich macht - Roman

Was uns glücklich macht - Roman

Titel: Was uns glücklich macht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Realität weit auseinander. Vielleicht ist einfach die Annahme falsch, dass Männer mit wachsendem Alter immer selbstsicherer werden. Ich weiß es nicht so genau.)
    Jedenfalls hatte ich in der Highschool genug Jungs, denen ich gefiel, und auf dem College gab es sogar einen, der sagte, dass er mich liebt. Das war Christian, der Junge, den ich mit Pfefferspray traktiert habe. Das tut mir ehrlich leid; nicht dass ich mir wünsche, ich hätte ihn geheiratet, aber der arme Kerl hatte es nicht verdient, vorübergehend zu erblinden. Alles, was er getan hat, war, mich zu lieben und mich zu entjungfern, und ich habe dabei bereitwillig mitgemacht, auch wenn ich nie ernsthaft in Betracht zog, ihn zu heiraten. Ich habe ihm lediglich gesagt, dass ich das täte, vermutlich weil ich erst achtzehn war. Wenn einem jemand mit achtzehn etwas von »für immer« erzählt, nimmt man natürlich an, dass das nicht ernst gemeint ist, weil sich ja schon nächster Donnerstag wie eine Ewigkeit anfühlt.
    Ich habe Christian bei einer Party der Studentenverbindung mit einer umgekehrt aufgesetzten Basecap und einem Plastikbecher voll Bier in der Hand kennengelernt. (Um genau zu sein: Er trug die Kappe und hatte das Bier in der Hand. Ich trug ein hellblaues Twinset und hatte eine Tasche von Coach in der Hand.) Er war attraktiv und sehr groß, ein liebenswerter Tollpatsch im Körper eines Footballspielers, nur dass er gar nicht Football spielte; er trieb überhaupt keinen Sport, wenn er nicht musste. Sein Vater war ein Alphamann, der sich eine Sportskanone als Sohn wünschte und keinen Blick für sein Genie hatte. Christian verbarg seine Intelligenz, wie man etwa eine Narbe im Gesicht wegschminkte: Er kaschierte seinen Verstand mit betrunkenen Blödeleien, College-Ringkämpfen und allgemeiner Albernheit. Aber hin und wieder verrutschte das Make-up, und die Narbe wurde sichtbar. Zum Beispiel hatte er eine phänomenale Begabung für Zahlen; so etwas ist mir selbst in der Wall Street nirgends begegnet. Außerdem war er in seinem Jahrgang der beste Ringkämpfer der Ivy League, obwohl er nie trainierte oder über Taktik nachdachte. Sein angeborenes Talent war so groß, dass er sich darauf ausruhen konnte; ich bin immer noch überzeugt davon, dass er es bis zu den Olympischen Spielen hätte schaffen können, wenn er gewollt hätte.
    Er fühlte sich sofort zu mir hingezogen, vielleicht weil ich zu der Sorte Mädchen gehörte, die sein Vater und seine dumpfbackigen Sportsfreunde missbilligen würden. Ich trank nicht übermäßig, redete nicht dauernd vom »Partymachen« und trug meine Jeans nicht so eng, dass ich mich hinlegen musste, um den Reißverschluss zuzumachen. Eine Weile haben wir uns unverbindlich getroffen, es fing in meinem ersten Jahr an (er war zwei Jahre weiter als ich), und dann wurde es ernster. Er war mein erster Liebhaber, und er wusste es; beim ersten Mal war er sehr zärtlich und liebevoll, grinste unentwegt und fragte mich dauernd, ob es mir gut gehe. Ich habe ihn sehr gern gehabt, war aber nicht in ihn verliebt, obwohl ich ihm das sagte, als er mir seine Liebe gestand, hauptsächlich deswegen, weil er mir dauernd Liebeserklärungen machte und es sehr ungezogen und unbehaglich gewesen wäre, wenn ich sie nicht erwidert hätte. Ich habe nie damit gerechnet, ich könnte ihm das Herz brechen. Stattdessen habe ich mir vorgestellt, wie wir uns nach seinem Abschluss tränenreich trennen und danach immer voll Wärme aneinander zurückdenken würden; allenfalls würden wir uns zehn Jahre später zufällig über den Weg laufen und ein Wochenende miteinander verbringen, falls wir beide noch Single waren.
    Am Tag vor seiner Abschlussfeier hatte ich Prüfungen und dachte an ihn schon in der Vergangenheitsform. Damals wohnte ich nicht auf dem Campus, sondern im Ort, und Christian hatte sich ohne mein Wissen mit dem Hausmeister angefreundet und ihn überredet, ihm meine Wohnung aufzuschließen, während ich meine letzte Prüfung ablegte (Amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts, wir befassten uns mit Der große Gatsby ). Erleichtert kam ich nach Hause und freute mich auf eine letzte Nacht mit meinem Freund. Womit ich allerdings wirklich nicht gerechnet hatte, das war, jemanden in meiner Wohnung vorzufinden, selbst wenn dieser Jemand gleich an der Tür kniete, einen Ring in der einen und einen Strauß Rosen in der anderen Hand. Als ich die Tür aufdrückte, sah ich nur, dass da jemand war, wo keiner sein sollte, und griff instinktiv nach meinem

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