Was uns glücklich macht - Roman
nun schon für Sie arbeite, haben Sie noch nie Urlaub genommen.«
»Ich habe schon viel länger keinen Urlaub genommen. Packen Sie eine Tasche, meine Liebe, wir reisen morgen ab.«
»Wohin denn?«
»Weiß ich noch nicht. Die Details überlegen wir uns später.«
Brooke
Ich liebe Fotografien.
Habe ich schon immer, schon von klein auf. Ich erinnere mich, wie mich mein Vater einmal in eine Fotoausstellung ins Museum of Modern Art mitgenommen hat. An den Fotografen erinnere ich mich nicht – ich war erst sechs –, aber ich weiß noch, dass die Bilder schwarzweiß waren und in New Mexico oder Arizona aufgenommen worden waren, von Indianern bei ihren alltäglichen Verrichtungen auf den Farmen, wie sie Wasser pumpten, Tiere versorgten, Traktoren fuhren. Die ausdrucksstarken Gesichter habe ich noch deutlich vor Augen. Das liebe ich so an der Fotografie, so offensichtlich das auch klingen mag: Sie ist real. Meine Mutter liebt den Surrealismus, den Impressionismus, Salvador Dalí, René Magritte, all die »marktüblichen« Künstler. Dieses Zeug macht mich größtenteils nur nervös. Eine Nase gehört ins Gesicht, nicht abgetrennt und an Vogelflügeln über dem Kopf schwebend. Ich ziehe Fotos vor, weil sie eine Geschichte erzählen.
Deswegen sehe ich mir auch so gern die Bilder an, die an der Wand zwischen den Schlafzimmern meiner Kinder hängen. Sie sind alle schwarzweiß, und wenn man sie der Reihe nach betrachtet, erzählen sie die Geschichte meines Lebens. Oder eher unseres Lebens, das Leben von Scott, den Kindern und mir. Den Anfang machen Bilder von Scott und mir auf dem College, als er das Haar noch lang und lockig trug. Er mochte diesen Stil so gern, er erzählt mir dauernd, dass er, wenn er der Wall Street erst mal den Rücken gekehrt hat, nie wieder zum Friseur gehen will. Jetzt trägt er das Haar schon so lange kurz und sauber gescheitelt, dass sich beinahe niemand an die wilde Mähne erinnert, die er einmal hatte, aber ich weiß es noch. Und ich kann sie mir immer noch ansehen, an meinen Wänden, wann immer mir danach ist. Dann kann ich in Gedanken zu jenen Tagen zurückkehren, an denen er mich umworben hat und er so süß und unsicher war, mit dicken Brillengläsern, Jeansjacke und schwarzen Stiefeln. So erinnere ich mich an ihn.
Wenn man sich an der Wand entlangarbeitet, von links nach rechts, von oben nach unten, folgt man unserem Lebensweg. Scott und ich auf Hawaii, wo er sich kaum zu tauchen traute, weil er Angst hatte, von einem Hai gefressen zu werden. Ehe wir abtauchten, sagte er immer wieder: »Alles, was mir durch den Kopf geht, ist die Titelmelodie vom Weißen Hai .« Dann ging es hinab, und es war gar nicht so furchterregend, zumindest ich fand das, selbst als ein winziger Fisch, so groß wie mein Daumen, an meinem Bein knabberte, doch Scott sah das Blut und war überzeugt, sämtliche weißen Haie im Pazifik würden es wittern, und er geriet in Panik und wäre beinahe zu schnell aufgetaucht. Das Foto, das ich an der Wand hängen habe, zeigt uns beide nach diesem Tauchgang, noch im Tauchanzug und mit klatschnassen Haaren. Scott hat sein drittes Bier in der Hand bei dem Versuch, sich zu entspannen. Man kann ihm die Furcht noch am Gesicht ablesen. Ich liebe dieses Bild.
Dann gibt es ein Bild von mir und einem sehr alten Mann auf dem Triumphbogen, im Hintergrund der Eiffelturm. Das war unsere erste gemeinsame Reise, Paris im Frühling, in dem Jahr, in dem wir geheiratet haben. Und Scott bat den alten Mann, uns zu fotografieren, doch sein Schulfranzösisch war so eingerostet, dass der Mann dachte, Scott wolle ein Bild von ihm und mir schießen, und das war so komisch. Der Mann war ganz todernst bei der Sache, als er mit mir posierte, den Arm um meine Schultern gelegt, seine Hand direkt auf meinem Po. Ich habe noch kein Bild von mir gesehen, auf dem ich so herzlich lache wie auf diesem.
Dann hängen dort die ganzen üblichen Fotos: Hochzeit, Babyparty, ich mit den Zwillingen im Arm, als sie eine Stunde alt waren, und Scott, wie er beide hochstemmt, einen in jeder Hand, als sie zwei waren. Dann Scott an dem Tag, als sein Team zur Eröffnung der New Yorker Börse die Glocke läuten durfte, wir vier, wie wir auf unserem Boot angeln, unsere zwei Kurzen, wie sie gleichzeitig aus den Wasserskiern kippen, und alle Halloweenkostüme, die die Kinder je getragen haben, auch von dem großartigen Jahr, als ich Scott dazu überreden konnte, sich ebenfalls zu verkleiden, und wir als Batman, Catwoman, Robin und
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