Was uns glücklich macht - Roman
reagiere ich oft auf Werbespots im Fernsehen. Ich habe schon mal nach einer Subaru-Werbung geweint. Ich weiß, es ist schrecklich, aber ich kann mir da nicht helfen.
Deswegen finde ich es auch so interessant, dass mir nicht mal aufgefallen ist, dass ich nach meiner Diagnose nicht weinen musste. Ich meine, ich heule, wenn ich einer Mom dabei zusehe, wie sie ein Frühstücksmüsli aussucht, aber als der Arzt zu mir sagte: »Samantha, Sie haben Krebs«, habe ich keine einzige Träne vergossen. Damals nicht, und seither auch nicht. Kein einziges Mal.
Bis gestern Abend.
Wie gesagt, ich habe auf deinen Beitrag geklickt, weil du aus derselben Stadt kommst wie ich. Es war ungefähr das fünfzigste Posting, das ich nach meiner Registrierung letzte Woche gelesen habe. Alle haben mich berührt, inspiriert, haben mir das Gefühl gegeben, nicht so allein zu sein. Sie alle haben das bewirkt, weswegen wir hier schreiben. Aber kein Beitrag hat mich so bewegt wie deiner. Du hast mich zum Weinen gebracht, und dafür möchte ich dir danken.
Ich habe John Irving auch gelesen, ich habe fast alle seine Bücher, und als du Franny mit dem Satz zitiert hast, sie will gestern und den größten Teil von heute, habe ich mich wieder daran erinnert. Ich habe mich auch an sie erinnert. Und mir wurde klar, dass sie vollkommen recht hatte, und du auch. Das will ich auch. Das wollen wir alle, wir wollen aufwachen, wenn wieder gestern ist, vor all den Untersuchungen, Ärzten und Entscheidungen. Ich will mich daran erinnern, worüber ich mir gestern Sorgen gemacht habe. Was es auch war, heute würde ich es willkommen heißen.
Ich bin mit dem Laptop ins Bett gegangen und habe deinen Beitrag immer wieder gelesen, und dann habe ich angefangen zu weinen. Und plötzlich war es wie der Moment, wenn der Kühlschrank aufhört zu brummen und man erkennt, man hat das Geräusch nicht mal wahrgenommen, bevor es aufgehört hat. So habe ich mich gefühlt. Ich habe nicht mal gemerkt, dass ich nicht geweint hatte, ehe du mich dazu gebracht hast. Und so bin ich dagesessen, war mir ganz stark der Stille bewusst, die auf das Brummen gefolgt war, und dann habe ich heftig geweint, ganz allein, auf dem Bett, vor mir auf dem Bildschirm deinen Beitrag. Ich hatte nicht mal Taschentücher zur Hand, aber das war mir völlig egal. Ich habe die Tränen einfach laufen lassen, wohin sie wollten.
Jetzt habe ich das Gefühl, ich bin wieder ich selbst, jedenfalls viel mehr als davor. Es ist nicht so wie gestern oder den größten Teil von heute, aber es ist besser als davor, und ich glaube, dass es noch besser wird, vielleicht schon morgen. Ich habe das Gefühl, dass ich dir dafür danken muss, zumindest zum Teil, weil ich erst darauf gestoßen werden musste, dass der Kühlschrank brummt, und das hat dein Beitrag getan.Bitte fühle dich nicht verpflichtet, mir zu antworten. Ich weiß, wie viel du im Augenblick um die Ohren hast, und vielleicht hast du keine Zeit für eine Brieffreundin, oder auch gar kein Bedürfnis danach. Ich wollte dich nur wissen lassen, selbst wenn es nicht mehr ist als eine Stimme in der Wildnis, dass dein Beitrag gelesen wurde und etwas bewirkt hat.
Ich werde verfolgen, was du in den nächsten Wochen hier von dir erzählst. Ich jedenfalls feure die Heldin in deiner Geschichte aus tiefstem Herzen an.
Alles Liebe
Samantha aus Greenwich
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Brooke B.
BrustKrebsForum.org
Greenwich, Conn
Registriert seit: 30 . 09 . 2011
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Am nächsten Morgen habe ich mir ein Bad eingelassen.
Das Wasser war knallheiß, so heiß, wie ich es ertragen konnte. Ich bade furchtbar gern, habe ich schon immer, schon als kleines Mädchen, aber ich gönne mir nur noch selten eins; Duschen sind so viel praktischer. Aber das war nicht der richtige Augenblick, sich über solche Dingen Sorgen zu machen. Jetzt war der Augenblick, um nachzudenken, um zu fühlen , obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich das kann. Ich war seit Tagen wie betäubt, es wurde immer schlimmer, am schlimmsten in den letzten paar Stunden. Heute bin ich ohne Gefühle aufgewacht, ohne Empfindungen. Ich wollte sehen, ob ich das heiße Wasser spüren konnte, und das funktionierte auch, aber nur ganz wenig. Nicht, wie man es eigentlich fühlen müsste. Mehr so, wie Orangensaft schmeckt, wenn man ihn direkt nach dem Zähneputzen trinkt: Man weiß, dass er da ist, aber alles, was ihn besonders macht, fehlt.
Zu meiner Überraschung schlief ich tief und fest. Ich hatte nicht damit gerechnet,
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