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Was uns glücklich macht - Roman

Was uns glücklich macht - Roman

Titel: Was uns glücklich macht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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überhaupt zu schlafen, aber letzte Nacht schlief ich lange und fest, und als ich aufwachte, hatte ich Spucke auf dem Kopfkissen. Die Babysitterin war über Nacht geblieben, sie würde die Kinder diesen Morgen versorgen und in die Schule schicken. Ein Teil von mir wollte unbedingt unten bei ihnen sein, ihnen Milch über die Frühstücksflocken gießen, Pausenbrot in die Schultaschen packen, sie umarmen, anlächeln, küssen. Für Kinder ist der Morgen die beste Tageszeit, weil ihr anstrengender Alltag sie da noch nicht aller Energien beraubt hat. Am Morgen haben sie die meiste Zeit und die meiste Liebe für ihre Mom übrig. Aber das erste gekrauste Näschen, das ich unten an der Treppe sehen würde, würde vermutlich einen hysterischen Anfall bei mir auslösen, den ich nie mehr würde kontrollieren können. Im Moment war es vielleicht besser, nichts zu spüren. Es wird noch andere Morgen in der Küche geben. Einen Morgen wie diesen wird es vielleicht nie wieder geben.
    Als ich den Zeh ins Wasser tauchte, wurde mir klar, dass ich letzte Nacht nicht nur geschlafen, sondern auch geträumt hatte, was genauso ungewöhnlich ist. Ich träume kaum noch; wie ich manchmal zu Scott sage, brauche ich auch nicht zu träumen. Ich habe schon alles, was ich mir wünsche, wenn ich wach bin.
    Aber nun, als ich mich in das brühheiße Wasser gleiten ließ, wobei ich hin und wieder innehielt, damit ich mich an die Hitze gewöhnen könnte – auch wenn ich sie nur wenig spürte –, dachte ich an den Traum von letzter Nacht. Und als ich schließlich ganz untergetaucht war, mit angehaltenem Atem, die Nase mit den Fingern zusammengezwickt, sah ich alles hinter meinen verschlossenen Lidern.
    Es begann unten an der Treppe, am Eingang von der Garage. Ich war noch ein junges Mädchen, dreizehn, und meine Großmutter war bei mir, nach der ich getauft bin und die gestorben ist, als ich in diesem Alter war. Ich habe meine Grammy von Herzen geliebt und bin manchmal immer noch traurig, dass sie das Haus nicht mehr sehen konnte, in dem ich jetzt wohne. Grammy hätte es gemocht. Es ist bis zum letzten Detail so eingerichtet, wie Grammy es eingerichtet hätte, wenn sie noch am Leben wäre. Auf einmal wurde mir klar, was ich mir bis jetzt nie richtig bewusst gemacht hatte: Bei fast jeder Entscheidung überlege ich, wie Grammy wohl darauf reagiert hätte. Das erkannte ich in der Badewanne, mit dem Kopf unter Wasser. Aber nicht in meinem Traum. Im Traum war ich dreizehn und führte Grammy durch das Haus, das sie nicht mehr sehen konnte.
    Alle paar Schritte blieben wir stehen. Es gab kein Detail, das wir ignorierten, kein Quadratzentimeter, der nicht erklärt wurde. Die Spiegel, die am Treppenabsatz der Hintertreppe an den Wänden hingen, die Fotostrecke von den Kindern am hinteren Eingang, das Gemälde, das Scott einem Straßenkünstler in Paris für weniger als einen Dollar abgekauft hat. Die Küchenschränke, das Kochgeschirr, die Weingläser, die Barhocker am Frühstückstresen, der Teppich im Haupteingang, die Möbel im Wohnzimmer, der Schreibtisch mit dem Tintenfass im Arbeitszimmer. Der Läufer auf der Haupttreppe, der Kronleuchter über dem offenen Bereich, die bunten Wände in den Kinderzimmern, die Bettwäsche in unserem Schlafzimmer. In meinem Traum habe ich ihr alles voll Stolz erläutert, wie ein Dozent bei einem Rundgang durch ein Museum. Und in der Wanne erkannte ich, dass ich jede Wahl mit Grammys stillschweigender Billigung getroffen habe. Und mir stiegen die Tränen in die Augen, nur kurz, obwohl ich den Kopf unter Wasser hatte, weil ich erkannte, dass Grammy immer noch bei mir war, auf eine Art, die mir gar nicht bewusst gewesen ist.
    Der schönste Moment im Traum kam, als ich Grammy die Bilder in dem kleinen Flur zwischen den Kinderzimmern zeigte: aus der Zeit, als Scotts und meine Liebe noch frisch war, unsere Hochzeit, wo das »Alte« aus dem Hochzeitsbrauch Grammys Diamantbrosche war, die vielen Fotos von den Kindern, die übrigens beide nach Grammy benannt sind: Grammys zweiter Vorname war Megan, ihr Nachname war Jarret, daher Jared. Hatte ich das bewusst gemacht? Bei Megan ja, das wusste ich, aber bei Jared war mir das nicht so klar. Ich kann mich nur noch erinnern, wie ich zu Scott sagte: »Der Name Jared hat mir schon immer wahnsinnig gut gefallen.« Und so war es auch. Im Traum hatte ich Grammy erzählt, dass ich meinen Sohn nach ihr benannt hätte. Und jetzt, im Bad, machte ich mir zum ersten Mal bewusst, dass es stimmte.
    Der

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