Was uns nicht gehört - Roman
abwesend mit der Hand den oberen Rand ihrer Schambehaarung kraulte.
«Besser», sagte ich, «du gehst jetzt. Ich habe zu tun.»
Sonja ließ ihren Kopf in meine Richtung kippen und war von einem Moment auf den nächsten wieder anwesend.
«Und was», fragte sie, «hast du so Wichtiges zu tun? Musst du dich innerlich sammeln für deinen Garderobendienst heute Abend?»
«Genau. Und ich brauche niemanden, der mir dabei zusieht.»
Ich löste mich vom Fenster und sammelte ihre Kleidungsstücke ein, die verstreut auf dem Boden lagen, und warf sie neben sie aufs Bett. Sonja zögerte einen Moment, dann stand sie auf und zog sich schweigend an.
«Schade», sagte sie, als sie bereits an der Tür war, «ich hätte euch gerne noch ein bisschen behalten. Einen von ganz oben und einen von ganz unten, das hat schon was. Aber wie es aussieht, ist es ja damit jetzt vorbei.»
Ich nickte. So gingen wir auseinander.
Schon mit den ersten Schritten, die ich in die Empfangshalle tat, sah ich, dass Momo zurück war. Er kam auf mich zu und sprang an mir hoch, und nur mit Mühe konnte ich ihn davon abhalten, mir auch noch mein Gesicht abzuschlecken. Momo sah prächtig erholt aus. Sein Fell hatte sich nahezu vollständig regeneriert, und wie es schien, war er nach Wochen der Einsamkeit noch einmal bereit, sich den Tätschelhänden im Pflegeheim auszuliefern. Ich nahm ihn mit nach oben, und kaum hatte Momo meinen Vater in seinem Zimmer entdeckt, sprang er auch schon zu ihm ins Bett. Mein Vater hatte geschlafen und schreckte hoch, aber anders als ich ließ er Momo gewähren. Nein, er ließ ihn nicht gewähren, er gab sich ihm förmlich hin und streckte ihm jeden Winkel seines Gesichts, den Momo noch nicht abgeschleckt hatte, entgegen, und als Momo schließlich genug hatte und von ihm abließ, sah mein Vater lächelnd zu mir und sagte: «Das ist der Pschorri, morgen wird er fünf Jahre alt.»
Ich erinnerte mich, dass wir Pschorris Geburtstag früher immer gefeiert hatten. Zu seinen Ehren gab es jedes Mal einen speckummantelten Schweinebraten, von dem Pschorri das schönste Stück bekam. Das war immer am 18., nein, am 8. Oktober gewesen, ein Datum, das mir, kaum hatte ich es zu Ende gedacht, den Atem stocken ließ. Ich hatte seit meiner Kündigung bei Walter & Kremer ein wenig das Gefühl für die Tage verloren, aber ein Blick auf den Bergkalender über dem Bett meines Vaters gab mir letzte Gewissheit: Heute war tatsächlich der 7. Oktober, ein Tag vor Pschorris Geburtstag. Und auch wenn es nicht der fünfte, sondern der fünf- oder sechsunddreißigste war, so hatte mein Vater doch dieses Datum in seinem Kopf bewahrt. So wie er offenkundig noch immer wusste, welcher Tag gerade war. Das alles mochte Zufall sein, aber ich glaubte nicht an Zufälle, schon gar nicht, wenn ich nicht daran glauben wollte.
«Wenn der Pschorri morgen Geburtstag hat», sagte ich, «dann müssen wir aber feiern.»
Mein Vater nickte, und auch wenn sein Nicken nicht mir, sondern Momo galt, der ihm auf seinen Hinterbeinen sitzend gerade Pfötchen gab, verbuchte ich auch das als gutes Zeichen.
Ich scheute mich, meinem Vater Momo wieder wegzunehmen, aber als unsere Zeit abgelaufen war, ließ er es ohne jedes Widerwort geschehen. Mehr noch, er winkte Momo fröhlich hinterher, und auch wenn er mir nicht dieselbe Beachtung schenkte wie ihm, verhakte ich mich in dem warmen Gefühl, ein winziges Stück von meinem Vater zurückgewonnen zu haben.
Ich hatte noch gut drei Stunden bis zum Abend, genügend Zeit, um noch einmal nach Hause zu gehen, aber ich war nicht in der Stimmung, mir meine gute Laune verderben zu lassen. Zwar glaubte ich nicht wirklich, dass Sonja mit verweinten Augen dort auf mich wartete, aber ganz sicher war ich mir nicht. Vielleicht wartete sie auch vor dem Haus ihres Jaguar-Mannes, oder sie pendelte zwischen beiden hin und her, um wenigstens einen von uns zu erwischen und zum Weitermachen zu überreden. Sonja war es nicht gewohnt, verlassen zu werden, schon gar nicht zwei Mal an einem Tag, aber wer war das schon.
Auch ich pendelte ein wenig hin und her. Gleich drei Mal kam ich dabei an Marias Camping-Bus vorbei, der noch immer an derselben Stelle am Straßenrand parkte. Das heißt, ich kam nicht direkt an ihm vorbei, sondern verharrte in einiger Entfernung am Rande eines kleinen Parks, der, wie die ganze Gegend, ein wenig verzottelt war. Ich hatte mir ausgemalt, Maria von meinem Ausguck noch einmal aus der Tür treten zu sehen, um im selben Moment
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