Was uns nicht gehört - Roman
meinen Schritt in ihre Richtung zu lenken, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen begegnete ich in der Stadt Loos, der, kaum hatte er mich gesehen, sein weinerliches Gesicht aufsetzte.
«Hör zu», sagte ich, noch bevor er zu seinem Lamento ansetzen konnte, «verschon mich mit deiner Jammerei. Du findest schon wieder was, und wenn nicht, hast du immer noch deine Frau.»
Loos schien überrascht über meinen plötzlichen Ausbruch, wie auch ich ein wenig überrascht war. So polterte ich sonst nie los, schon gar nicht auf der Straße, wo einem alle Welt beim Poltern zusehen konnte, aber vielleicht war der Tag einfach ein bisschen viel für mich gewesen.
Loos sah mich einen Moment stumm an, dann schüttelte er den Kopf. «Nein, nein», sagte er, «ich habe ja längst wieder einen Job. Es ist wegen Kremer.»
«Wegen Kremer?»
Loos nickte. «Ja», sagte er, «er ist tot. Vor zwei Tagen hat er sich umgebracht.»
«Oh Gott», erwiderte ich und merkte, dass mich Loos’ Nachricht in Wahrheit seltsam unberührt ließ.
Alles an diesem Tag, so schien es mir, hatte mich mehr beeindruckt: Die unerfreuliche Begegnung mit Sonja, die plötzliche Wiederbelebung meines Vaters, ja sogar die Rückkehr Momos hatte mich stärker aufgewühlt als die Nachricht von Kremers Ende.
«Pistole», sagte Loos, «ein Schuss, und er war tot.»
Ich nickte und fragte mich gerade, ob man sich auch mit mehr als einem Schuss umbringen konnte, als Loos unvermittelt in Tränen ausbrach. Ja, Loos schluchzte wie ein kleines Kind, dabei war sein Verhältnis zu Kremer nie das beste gewesen. Kremer hatte ihn gegängelt, wie er nur wenige gegängelt hatte, kaum möglich, das Loos das vergessen hatte. Seine Trauer um Kremer schien mir so übertrieben, wie meine Teilnahmslosigkeit herzlos war. Eher schon, dachte ich, müsste es anders herum sein, ich, der in Tränen aufgelöst auf der Straße stand, und Loos mit einem gleichgültigen Achselzucken neben mir, ach nein, das stimmte auch nicht.
«Ich muss dann mal», sagte ich, als er für einen Moment zu weinen aufhörte.
Loos nickte. «Dann bis zur nächsten Katastrophe», sagte er, und noch bevor er erneut in Tränen ausbrechen konnte, war ich gegangen.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich neben Maria in ihrem Camping-Bus. Ich war komplett angezogen und ohne Zudecke, Maria bis zum Kinn eingehüllt in ihr Federbett, von ihrem froschgrünen Pyjama, den sie am Abend in meinem Rücken angezogen hatte, war nichts zu sehen.
«Kein Sex», hatte Maria gesagt, noch bevor wir ihren Wagen erreicht hatten, und dabei war es geblieben.
Mehr noch, wir waren einfach nebeneinander gelegen, ohne uns zu berühren, ohne Kuss, ohne alles, und trotzdem hatte ich nun, da ich aufwachte, das Gefühl, die ganze Nacht in ihrem Arm gelegen zu haben. Ich in ihrem oder sie in meinem oder beides zur gleichen Zeit, und ich hatte Angst, dass meine Vertrautheitsphantasien schon bald wieder in sich zusammenfallen würden, dann, wenn auch Maria aufwachte und sich zu mir umdrehte und wir einander für Sekunden anschauten, wissend, dass das alles nicht mehr als ein Missverständnis war.
Ihr zweites Konzert im Mahagoni war ein Debakel gewesen. Der Saal war zur Hälfte leer geblieben, Maria fahrig und nicht recht bei Stimme, und als sie nacheinander bei zwei Liedern den Text vergaß, regte sich erster Unmut im Publikum. Ein Unmut, der sich schon bald auf Maria übertrug, die den Abend offenkundig nur noch ohne weiteren Schaden über die Runden bringen wollte und die längst damit abgeschlossen hatte, das Publikum noch einmal auf ihre Seite zu ziehen. Das Konzert endete mit spärlichem Applaus und ein paar grantelnden Besuchern an der Garderobe, aber als ich Maria später vor dem Mahagoni abpasste, war sie erstaunlich aufgeräumt.
«Mein Gott», sagte sie, «gestern war’s toll und heute war’s zum Vergessen, so ist das halt», damit, so schien es, war die Sache für sie erledigt.
Wir gingen nebeneinander her, als hätten wir uns schon vor dem Konzert für den weiteren Abend miteinander verabredet, und als wir nach ein paar Minuten an einem kleinen Pizza-Imbiss stehenblieben, taten wir auch das, als gäbe es dafür einen Plan. So wie für den Abstecher in eine Hotelbar unweit des Stieglitz und den Weg zu ihrem Wagen. Ich wusste nicht, worauf der Abend mit Maria hinauslief, ich wusste nur, dass ich wollte, dass er so lange weiterging wie möglich.
«Ich weiß, was du denkst», sagte Maria, als wir schließlich von der
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