Was uns nicht gehört - Roman
noch immer teuer genug, um ein kräftiges Loch in unser Budget zu reißen. Zwar wusste ich nicht, was für ein Budget wir überhaupt hatten, aber als ich schräg gegenüber an einem Bankautomaten hundert Euro zog, gab ich mich keinen Illusionen hin, dass schon mein nächster Versuch ins Leere gehen konnte. Maria kannte das Hotel von früheren Auftritten, trotzdem war ich in Sorge, dass sie Ähnliches im Sinn hatte wie am Abend zuvor, aber sie sagte, das würde nicht stimmen. Wir bestellten Pizza und Wein aufs Zimmer und saßen nebeneinander auf dem Bett und sahen zum Essen einen schwedischen Krimi, in dem ein Superbulle einen Supergangster jagte, der eine Reihe von Supercoups gelandet hatte, aber noch bevor der Superbulle den Supergangster zur Strecke gebracht hatte, waren wir mit dem Essen fertig und schalteten ab. Eine Weile saßen wir stumm nebeneinander, dann sagte ich: «In welche Richtung geht das jetzt eigentlich mit uns?»
Maria drehte sich zu mir um und sah mich an, ernst, vielleicht sogar ein bisschen feierlich.
«In eine gute, glaube ich», sagte sie, aber als ich mich zu ihr hinüberbeugte, um sie zu küssen, hielt sie meinen Kopf mit beiden Händen fest und geleitete ihn sanft zurück zur Wand.
Ihr Gesicht war nah an meinem, und einen Moment glaubte ich, sie würde es sich anders überlegen, aber dann ließ sie mich los und legte ihren Kopf in meinen Schoß. Mein Geschlecht reagierte auf die plötzliche Wärme, die auf ihm ruhte, gerade so viel, dass Maria es bemerken musste, aber es schien ihr gleichgültig zu sein, was sich unter ihrem Kopf abspielte, und ohnehin war das bisschen Aufregung auch schnell wieder vorbei. Ich sah Maria an, und Maria sah mich an, und als ich ihr meine Hand auf die Stirn legte, schloss sie die Augen und ließ es geschehen.
«Alles andere», flüsterte sie, «ist nicht wichtig.»
«Und was», fragte ich, «ist wichtig?»
Maria faltete ihre Hände über dem Bauch, und zum ersten Mal bemerkte ich, wie filigran sie waren.
«Was uns gehört», sagte sie, «der Sex gehört uns nicht.»
«Und du weißt, was uns gehört?»
Maria schlug die Augen auf und lachte. «Nein», sagte sie, «das weiß ich nicht.»
Ich streichelte weiter ihre Haare und ihre Stirn und fuhr ihr Gesicht entlang bis zum Hals, und ohne dass mich Maria noch einmal auf die Grenzgebiete ihres Körpers hinweisen musste, kehrte ich rechtzeitig wieder um.
«Manchmal», sagte sie, «wenn ich in einem Altenheim singe, dann sitzt da irgendwo an einem Tisch ein altes Paar und hält sich an den Händen. Sie sitzen mit den Oberkörpern ein bisschen verdreht, weil es anders nicht geht, wenn sie gleichzeitig noch zur Bühne schauen wollen, aber obwohl es so, wie sie da sitzen, furchtbar unbequem für sie sein muss, tun sie es doch. Es ist immer nur ein Paar, und ich weiß nicht, ob sie miteinander alt geworden sind oder ob sie sich erst vor Kurzem im Altenheim gefunden haben, aber gleichwie, sie berühren mich mehr als alles andere, was ich unterwegs sehe.»
Maria schloss erneut die Augen und veränderte ihre Position in meinem Schoß, ganz leicht nur, aber doch genug, um mein Geschlecht noch einmal in Unruhe zu versetzen.
«Keine Angst», sagte sie, «ich will nicht mit dir alt werden. Es ist nur, weil es manchmal Dinge zwischen Menschen gibt, die man nicht erklären kann.»
Sie griff nach meiner Hand und nahm sie mit zu ihren auf den Bauch, und so lagen und saßen wir den Rest des Abends und der Nacht, und als ich gegen Morgen aufwachte und mein Rücken vom langen Sitzen gegen die Wand schmerzte, nahm ich es hin, als sei dieser Schmerz Teil dessen, was uns gehörte, nicht anders als meine Hand auf ihrem Bauch und ihr Lied in der Besenkammer des Seniorenheims. Noch immer wusste ich nichts über Maria, nichts, was jenseits unserer ersten Begegnung im Mahagoni lag, und ich merkte, dass mein Bedürfnis, mehr über sie zu erfahren, mit jeder Stunde, die wir gemeinsam verbrachten, weniger wurde. Ich wollte nichts wissen über ihr früheres Leben, nichts davon, was sie vor ihrer Mireille-Mathieu-Karriere getan, und schon gar nicht, mit wem sie vor mir ihr Bett geteilt hatte. Ich wollte das, was wir miteinander teilten, nicht teilen, nicht mit einer Vergangenheit, die mir im besten Fall gleichgültig war, aber auf einmal erschrak ich vor mir selbst und meinen Gedanken. Ich kannte Maria gerade einmal vier Tage und wollte sie bereits besitzen, besitzen ohne auch nur einen Blick auf ihr früheres Leben zu werfen, doch dann
Weitere Kostenlose Bücher