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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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dem Rhein fuhr laut röhrend ein Motorboot vorbei, das einen Wasserskifahrer im Schlepp hatte, der einige waghalsige Manöver machte, von denen eins schiefging. Er stürzte und tauchte unter, aber schon Augenblicke später war er zurück an der Wasseroberfläche und winkte in Richtung des Bootes, das längst umgedreht hatte und auf ihn zusteuerte. Längsseits schob es sich an ihn heran, und ich sah, wie die beiden Männer an Bord mit dem Wasserskifahrer scherzten, bevor sie ihn mit geübtem Griff aus dem Wasser zogen und schließlich gemeinsam davonfuhren.
    «Warum», fragte ich irgendwann und ohne rechten Plan, «machst du das alles eigentlich?»
    «Was meinst du?», fragte Maria zurück.
    «Diese ganze Tourerei. Du hast eine großartige Stimme, aber du trittst in Altersheimen oder sonstwo auf, wo es nichts zu holen gibt. Ich meine, das muss doch auf Dauer frustrierend sein, immer wieder auf die Bühne zu steigen und sein Bestes zu geben und dabei genau zu wissen, dass andere, die nur halb so viel können, in vollbesetzten Konzertsälen singen.»
    Maria sah mich einen Augenblick lang unbewegt an, dann stand sie auf und ging vor zur Mauer, die den Uferweg vom Wasser trennte. Einen kurzen Moment blieb sie dort stehen und sah auf den Fluss oder sah hinüber zum anderen Ufer, an dem ein Schnellzug vorbeiglitt, der an der Oberleitung Funken schlug. Maria hatte ihre Hände in den Taschen ihrer Jacke vergraben und wirkte auch sonst, als ob sie fröre, dabei war die Luft mild wie seit Tagen nicht mehr. Schließlich drehte sie sich um und setzte sich auf das Mäuerchen. Maria schaute in meine Richtung. Ja, in meine Richtung, obwohl wir keine fünf Meter voneinander entfernt saßen, konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob sie in mein Gesicht sah oder knapp daran vorbei. So verharrte sie einen Moment, dann zog sie die Hände aus ihren Taschen und faltete sie um ihre Knie.
    «Ok», sagte Maria, «nur mal so zur Klarstellung. Ich lebe mein Leben und du lebst deins. Dass wir uns getroffen haben und hier zusammen am Rhein sitzen, ist schön, ändert daran aber nichts. Ich habe eine einigermaßen klare Vorstellung von dem, was ich tue, und so gut wie keine davon, was du machst. Das einzige, was ich von dir weiß, ist, dass du Garderobendienste in einer kleinen Konzertkneipe schiebst, und ich bin mir einigermaßen sicher, dass du das nicht dein ganzes Leben lang getan hast. Aber selbst wenn, wäre mir das egal, und bis vor zwei Minuten hätte ich gesagt, ich mag dich genau so, wie du bist. Wenn du aber meinst, mir sagen zu wollen, wie ich mein Leben zu leben habe, dann ist es damit ganz schnell vorbei. Vielleicht denkst du, du hast irgendwas von dem kapiert, was ich mache, aber das hast du nicht. Es hat lange gedauert, bis ich an der Stelle war, an der ich heute bin, und das lasse ich mir von niemandem kleinreden. Auch von dir nicht. Du weißt nicht, was davor war, und glaub mir, das willst du auch gar nicht wissen. Besser, du denkst nicht einmal darüber nach. Klar, das sind nicht die großen Konzertsäle, in denen ich auftrete, und um ehrlich zu sein, waren es auch nie andere. Aber bevor du das alles mies und schäbig findest, solltest du vielleicht wenigstens einen Gedanken daran verschwenden, dass ich trotz allem genau das tue, was ich tun möchte, und ich glaube nicht, dass du das von dir selbst auch behaupten kannst.»
    Maria hielt inne und sah mich an. Vielleicht erwartete sie, dass ich etwas erwiderte, vielleicht auch holte sie nur kurz Luft oder gab mir die Chance, Luft zu holen, dabei atmete ich längst nicht mehr und hatte auch nicht vor, noch einmal damit anzufangen. Drei laut palavernde Fahrradfahrer fuhren zwischen uns hindurch, und für einen Moment wünschte ich mir, einer von ihnen würde mich auf seinem Gepäckträger mitnehmen, mitnehmen und ein paar Kilometer weiter einfach wieder absetzen, ohne in der Zwischenzeit auch nur eine Sekunde mit seinem Palaver ausgesetzt zu haben. Einem Palaver, das nicht mir galt, mit dem ich nichts zu tun hatte und das an mir vorbeirauschte wie der Fahrtwind oder der Rhein, auf dem sich erneut ein Wasserskifahrer mit seinen Kunststücken zeigte, derselbe wie zuvor oder ein anderer, ich wusste es nicht.
    «Es tut mir leid», sagte ich leise, «das wollte ich nicht.»
    Ich schaute zu Maria und sah sie kurz nicken, dann nahm sie ihre Beine und schlug sie über das Mäuerchen zur Flussseite. Ich versuchte in ihrem Rücken zu lesen, aber ich war nicht geübt im Rückenlesen, schon

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