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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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gar nicht, wenn der Rücken in einer wattierten Jacke steckte, die jegliche Regung unter sich begrub. Immerhin ein halber Kopf schaute oben aus ihrem Kragen heraus, aber auch der gab mir keine Aufschlüsse darüber, was in Maria vorging. In Wahrheit wusste ich noch nicht einmal, was in mir vorging, außer, dass ich mich verstört fühlte, verstört und grau, und dass sich Marias letzter Satz in mein Gehirn gemeißelt hatte wie eine Gravur in einen Grabstein. Ich stand auf und ging zum Mäuerchen, und als ich mich neben Maria setzte, sah ich, dass sie geweint hatte.
    «Danke für dein Kompliment», sagte sie.
    «Ach ja, das», erwiderte ich und wusste einen Moment nicht mehr, was genau ich überhaupt zu Maria gesagt hatte, und als es mir wieder einfiel, beeilte ich mich hinzuzufügen: «Glaub mir, Mireille Mathieu ist nichts dagegen.»
    Maria schüttelte den Kopf. «Das meine ich nicht. Du hast gesagt, dass ich immer wieder auf die Bühne steige und dort mein Bestes gebe. Wahrscheinlich war das noch nicht einmal als Kompliment gedacht, aber genau das ist es, was ich möchte. Für die, die da unten sitzen und mir zuhören und die vielleicht gerade für einen kurzen Moment vergessen haben, dass schon wieder das ganze Geld für den Monat weg ist oder dass ihnen am Abend der Katheter gewechselt wird oder die Windel oder beides. Vielleicht tun ihnen auch nur die Füße weh, wie ihnen jeden Abend die Füße weh tun, und während ich Merci Chéri singe, tun ihnen die Füße eben auf einmal nicht mehr weh, verstehst du? Und weil ihnen die Füße nicht mehr weh tun und ich genau das in ihren Gesichtern sehe, tut auch mir nichts mehr weh. Denk also bloß nicht, ich mache das alles nur aus Nächstenliebe. Das ist der reine Egoismus, aber wenigstens einer, der für was gut ist.»
    Maria sah mich an. Sie lächelte kurz oder versuchte zu lächeln, so richtig hatte ihr Gesicht ihre Traurigkeit von zuvor noch nicht wieder losgelassen.
    «Und was meine Stimme und die von Mireille Mathieu angeht, da hast du leider keiner Ahnung. Ist aber trotzdem schön, wenn du glaubst, dass ich so gut singe wie sie.»
    «Nein, nein, du bist», begann ich zu protestieren, doch Maria legte mir den Finger auf die Lippen und brachte mich so zum Verstummen.
    «Du hast schon genug Unsinn geredet», flüsterte sie, «jetzt ist Schluss.»
    Ich nickte und sah zurück zum Fluss, der wieder still vor sich hinfloss, kein Frachtkahn, kein Wasserskiläufer, der die Ruhe störte, einzig ein paar Ruderer pflügten nahe des gegenüberliegenden Ufers mit gleichmäßigen Schlägen durchs Wasser. Ich wollte ihnen nachsehen, bis sie aus meinem Blickfeld verschwunden waren, aber sie verschwanden nicht, ja, sie bewegten sich kaum, und erst nach einiger Zeit begriff ich, dass sie gegen die Strömung ruderten. Ein wenig beneidete ich sie um ihren Ehrgeiz, dem Fluss die Stirn zu bieten, aber schon im nächsten Moment nahmen sie wie auf ein Kommando ihre Ruderblätter aus dem Wasser und ließen sich zurück ans Ufer treiben.
    «Bist du traurig?», fragte Maria unvermittelt in die Stille zwischen uns.
    Sie fasste nach meiner Hand und hakelte sich in meine Finger, und als ich sie zusammen mit meinen in meine Jackentasche schob, ließ sie mich gewähren, wie auch, als ich meinen Kopf gegen ihre Schulter lehnte und mich dort ein wenig vergrub. Kurz darauf begann Maria zu singen. Ganz leise, fast nur ein Summen, eine Melodie so schlicht wie die eines Kinderlieds, ein Lied, das mir, obwohl ich mir sicher war, es nie zuvor gehört zu haben, schon nach wenigen Sekunden vertraut vorkam. Ich schloss die Augen und spürte, wie Marias Körper unter ihrem Summen vibrierte, ein Vibrieren, das über ihre Schulter und meine Wange auch mich vibrieren ließ, meinen Kopf, meine Schulter, den gesamten Rumpf, ja, Maria und ich waren ein einziges gemeinsames Vibrieren, auch dann noch, als sie ihr Summen längst eingestellt hatte und stattdessen mit ihrer freien Hand mein Gesicht berührte und schließlich streichelte wie das eines Kindes.
    «Vielleicht», sagte ich leise, «könntest du einmal für meinen Vater singen.»
    «Warum, was ist mit deinem Vater?»
    Maria hörte auf mich zu streicheln und löste Augenblicke später auch die Verhakelung unserer Hände in meiner Jackentasche. Sie rückte ein kleines Stück von mir weg, und als ich noch einmal versuchte, meinen Kopf gegen ihre Schulter zu lehnen, wies sie mich ab.
    «Erzähl schon, was ist mit ihm?»
    Ich zögerte weitere Sekunden, dann

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