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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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erlernen können. Vielleicht seiner groben Tischlerarme wegen, vielleicht auch einfach nur, weil er kein Gefühl für Musik hatte, aber obwohl ich mir im Klaren darüber war, dass jedes noch so kleine Erfolgserlebnis unser aller Leiden nur verlängerte, zitterte ich im Stillen mit ihm um jeden einzelnen Ton.
    Zu meiner Überraschung war es meine Mutter, die dem Ganzen eines Tages ein Ende setzte.
    «Irgendeiner», sagte sie, «muss es ihm sagen.»
    Sie wuchtete ihren schweren Körper vom Küchentisch hoch, an dem sie gesessen und mit der ihr eigenen Bedächtigkeit Gemüse geschält hatte, und hämmerte so lange an die verschlossene Tür des Wirtschaftszimmers, bis sie aufging und der vom Üben hochrote Kopf meines Vaters darin erschien. Als hätte er lange schon auf diesen Moment gewartet, reichte er meiner Mutter wortlos die Querflöte, die sie genauso wortlos entgegennahm, und ich wusste nicht, über was ich mich mehr wundern sollte, über die Gefügigkeit meines Vaters oder über meine Mutter, die soeben den womöglich ersten emanzipatorischen Akt ihres Ehelebens vollzogen hatte. Den ersten und vermutlich auch den letzten, schon beim Abendessen war alles wieder beim alten. Mein Vater war nörgelig und kommandierte meine Mutter herum wie einen Zirkushund, und anstatt aus der Sache mit der Flöte ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln, fügte sie sich seinen Launen noch duldsamer als sonst. Ein paar Mal wollte ich sie in den Tagen danach darauf ansprechen, auf ihren Mut, sich meinem Vater entgegengestellt zu haben, wenigstens dieses eine Mal, aber dann fehlte mir selbst der Mut, der Mut oder vielleicht einfach nur die Nähe, und als meine Mutter sieben Jahre darauf starb, tat sie auch das duldsam und ohne Klagen und letztendlich allein.
    Als wir in meiner Wohnung ankamen, war es bereits dunkel. Sie war kalt und roch noch immer nach dem letzten Essen, das ich mir gemacht hatte, einem Fertigfischgericht aus dem Backofen, aber Maria schien sich weder an dem einen noch an dem anderen zu stören. Lächelnd zog sie ihre Jacke aus, warf sie über die Lehne des nächstbesten Stuhls und ging zum Fenster.
    «Schön», sagte sie, nachdem sie ein paar Sekunden still in die Nacht geblickt hatte, «kannst du den Fluss sehen?»
    Sie drehte sich zu mir um, und noch bevor ich antworten oder auch nur nicken konnte, fügte sie hinzu: «Am liebsten würde ich gleich jetzt zu deinem Vater gehen.»
    Maria löste sich vom Fenster und küsste mich auf die Stirn wie ein krankes Kind. Sie roch ein wenig aus dem Mund, und mir fiel ein, dass wir seit unserer Abfahrt in Bingen nichts mehr gegessen hatten.
    «Ich kann uns was kochen», sagte ich.
    Maria schüttelte den Kopf. Sie zog die Nase kraus und lachte, dann ging sie ins Badezimmer und schloss hinter sich die Tür. Keine zehn Minuten später lagen wir nebeneinander im Bett. Maria hatte ihre Hand auf meiner Brust, kraulte sie sogar durch den Stoff meines Pyjamas ein wenig, und obwohl ich nicht glaubte, dass sie vorhatte, in andere Regionen damit vorzudringen, hielt ich ihre Hand irgendwann fest. Ich bildete mir ein, dass die Bettwäsche noch immer nach Sonja roch, nach ihrem Parfüm, ihrem Schweiß, vielleicht fanden sich sogar noch ein paar Schamhaare von ihr, und zum ersten Mal fühlte sich Marias Nähe falsch für mich an. Falsch an diesem Ort, in diesem Bett, das nicht zu uns gehörte, das eine andere Geschichte hatte, und fast kam es mir vor, als würde ich die eine mit der anderen betrügen. Sonja mit Maria oder Maria mit Sonja, so recht war ich mir nicht im Klaren darüber.
    «Vielleicht», sagte Maria leise, «will ich dir doch irgendwann etwas von mir erzählen, aber jetzt ist es noch zu früh.»
    Sie zog ihre Hand unter meiner hervor und schob sie stattdessen unter ihre Wange, aber so recht schien sie ihr auch dort nicht zu behagen, und schließlich rollte sie sich ganz von mir weg und legte die Arme neben ihrem Körper ab wie in einem Krankenbett.
    «Ich habe dich neulich telefonieren sehen», sagte ich.
    «Das meine ich nicht», erwiderte Maria, «darüber kann ich dir jetzt schon alles erzählen. Aber vermutlich wirst du dich nicht so wahnsinnig dafür interessieren, wie es den Zwergkaninchen meiner Nichte geht und wie ihr Geburtstag war und warum sie sich mit ihrer Freundin gestritten hat.»
    «Vielleicht ja doch.»
    Maria nickte. «Es geht ihnen wieder gut.»
    «Den Kaninchen?»
    «Ihr und ihrer Freundin, morgen gehen sie zusammen in den Zoo.»
    Ich griff nach Marias Hand,

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