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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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meinem Rauswurf bei Walter & Kremer im Internet einen Multi-Trainer bestellt zu haben, ein Gerät, mit dem ich mich ein wenig für mein rauer gewordenes Leben hatte stählen wollen und das vorübergehend ausverkauft gewesen war. Ich hatte die Bestellung längst vergessen und nun, da sie in einem schlanken Karton neben meiner Tür im Treppenhaus gegen die Wand lehnte, erschien sie mir gänzlich unnütz und fast ein wenig peinlich.
    «Ich habe gerade kein Geld im Haus», sagte ich, «vielleicht kommen Sie morgen wieder.»
    Der Mann schüttelte den Kopf. «Vergessen Sie’s», sagte er, «noch mal trage ich Ihnen das Ding hier nicht rauf. Und außerdem: Wer sagt mir denn, dass Sie dann flüssig sind, Sie haben ja nicht mal was zum Anziehen.»
    Er gab mir einen Zettel mit den Öffnungszeiten der Abholung, dann wuchtete er sich das Paket auf die Schulter, und noch bevor ich die Tür wieder schloss, hörte ich, wie er damit auf dem Treppenabsatz das Fenster rammte.
    «Schade», sagte Maria, als ich schließlich allein und wieder in meinem Pyjama zurück ins Schlafzimmer kam, «ich hatte mich schon auf ein kleines Gemetzel gefreut.»
    Sie zog ihren rechten Arm unter der Decke hervor und machte Muskeln, aber obwohl sich ihr Bizeps durchaus beeindruckend aufwölbte, glaubte ich nicht, dass sie damit im Ernstfall in Sonjas Gewichtsklasse viel würde ausrichten können.
    «Ein Nachbar», sagte ich, «nichts Wichtiges.»
    Maria ließ ihren Arm sinken und schlug die Decke beiseite.
    «Gut», sagte sie, «dann lass uns singen gehen.»
    Wir zogen uns an und kauften für unterwegs eine Tüte mit Brötchen und Croissants, aber als wir im Pflegeheim ankamen, hatten wir nichts davon angerührt. Maria stellte den Motor ab, und nachdem sie einige Sekunden schweigend auf dem Fahrersitz verharrt hatte, ging sie nach hinten. Ich sah ihr dabei zu, wie sie ihr Paillettenkleid aus dem kleinen Schrank neben dem Waschbecken nahm und es zweimal kurz ausschlug, dann begann sie sich umzuziehen.
    «Du kannst auch so», sagte ich.
    Maria schüttelte den Kopf.
    «Nein», erwiderte sie, «kann ich nicht», und als wir wenig später gemeinsam durch den Eingang ins Haus gingen, hielt sich Mireille Mathieu bei mir untergehakt, und es fehlte nicht viel, und ich hätte mit höfischer Geste ins staunende Volk gewinkt, das sich entlang unseres Weges zum Fahrstuhl aufreihte und verneigte. Ja, verneigte, ein kleiner Mann mit Stock senkte tatsächlich seinen Kopf und flüsterte «nein, so was», immer wieder «nein, so was», und als wir uns bereits im Fahrstuhl stehend noch einmal nach ihm umdrehten, reckte er seinen Stock in die Luft, als gälte es, einen Sieg zu feiern.
    «Du bist eben doch ein Star», sagte ich zu Maria, nachdem sich die Tür des Fahrstuhls geschlossen hatte und wir mit einem leichten Rucken unter unseren Füßen losfuhren.
    «Sag ich doch. Vielleicht hat er aber auch einfach nur eine Nutte in mir gesehen?»
    Ungläubig sah ich Maria an, sie lachte.
    «Oder was würdest du denken, wenn du mitten am Tag jemanden mit einer aufgetakelten Frau am Arm hier hereinstolzieren sehen würdest? Also ich würde denken, da wird für einen der alten Herren ein bisschen Vergnügen ins Haus geschleppt.»
    Maria ließ meinen Arm los und betrachtete sich kurz im Spiegel, der die gesamte Rückwand des Fahrstuhls einnahm und der an manchen Stellen schon ein wenig blind war. Sie zupfte sich ein paar Strähnen ihrer Perücke zurecht und kontrollierte den Sitz ihres Paillettenkleids.
    «Wird’s ja auch», sagte sie, «und sogar umsonst. Wenn das der kleine Mann da unten wüsste, würde er komplett austicken.»
    Maria drehte sich zu mir um und lächelte mich an. «Fertig», sagte sie, «von mir aus können wir.»
    Der Fahrstuhl blieb mit einem abermaligen Rucken stehen, und als die Tür aufging, schauten wir direkt auf ein frisch gemachtes Bett, über das eine Plastikfolie geschlagen war. Ich sah die «31», die auf Höhe des Kopfkissens aufgemalt war, und im selben Moment hatte ich wieder die Stimme der Schwester im Ohr. Ihre Stimme und das Piepen im Hintergrund, das sich mehr und mehr entfernte und schließlich verstummte, und obwohl ich nicht wusste, wer in der 31 gestorben war, versetzte mir der Anblick des leeren Betts einen Hieb in den Magen. Vielleicht, weil ich beim Sterben mit dabei gewesen war, vielleicht auch nur der kühlen Sachlichkeit wegen, mit der man den Tod hier im Flur ausstellte. Erst auf den zweiten Blick bemerkte ich, dass man noch etwas

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