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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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das KIT wiederum uns benachrichtigt. Aber wir waren früher da als das KIT selbst. Die konsternierte Mutter öffnete uns. Sie war bleich, sie war gefasst, aber auf so eine beunruhigende Art, wie fassungslose Menschen eben notdürftig versuchen, gefasst zu sein. Ich ging zunächst runter in den Keller. Der Anblick war bizarr. Ich hatte mir sofort unten am Fuß der Kellertreppe an der offen stehenden Tür zum Fitnessraum gedacht: Was ist denn da an der Tür? Es war eine weiße Tür, früher jedenfalls, sie stand offen und war jetzt irgendwie rot-weiß gesprenkelt. Ich betrat dann den Raum, der etwa so groß war wie zwei Büros. Und der Fitnessraum sah genauso aus wie die Tür. Die Wände, die Decke, alles rot-weiß gesprenkelt. Als hätte jemand Himbeerquark mit dem Quirl angerührt und dann den drehenden Quirl einfach aus der Schüssel gezogen. Und wieder in den Quark getunkt und wieder rausgequirlt, und wieder rein und wieder raus. Unglaublich gleichmäßig, aber von unterschiedlicher Intensität, da der Crosstrainer eher in einer Ecke des Raumes gestanden war. Der in alle Richtungen explodierende Schädel hatte sich im näheren Eckabschnitt auf einer kleineren Fläche intensiver verteilt als auf der anderen Seite, wo er teilweise durch den ganzen Raum geschleudert wurde. Überall aber glichen die Spuren, die früher mal ein Schädel waren, kleinen Himbeerkernchen.
    Weil die Krisenexperten nicht so rasch kommen konnten, bin ich zwei Stunden bei der Familie geblieben. Ich habe mir die Vorgeschichte erzählen lassen und habe versucht, die Frau zu beruhigen. Das war bestimmt nicht ihre Schuld, man weiß doch bei Kindern oft nicht, was die gerade denken. Und ich war auch noch bei ihr, als die 17 -jährige Tochter aus der Schule nach Hause kam. Sie hat große Augen gemacht: » Was ist denn hier los?« Und du merkst schon am Tonfall, dass sie weiß, dass was Schlimmes geschehen sein muss, klar, der Notarztwagen steht vor der Tür, und du weißt auch, dass das Schlimme, was sie befürchtet, längst nicht so schlimm ist wie das, was wirklich passiert ist.
    Es heißt ja manchmal: » Bringen Sie’s ihr schonend bei«, aber wie das gehen soll, weiß ich bis heute nicht. Ich habe ihr gesagt, sie soll erst mal reinkommen, aber da hat sie schon die weinende Mutter gesehen, die hat’s ihr dann gesagt, und schonend war das für niemanden. Sie wollte ihren kleinen Bruder sehen, und wir haben gesagt, Mädel, das geht jetzt nicht. Aber das muss dann halt gehen, und wir haben uns was einfallen lassen.
    Früher hat man die Menschen in solchen Situationen nicht zu ihren Angehörigen gelassen. Noch vor 20 Jahren, als ich beim Rettungsdienst angefangen habe, hieß es, das sei ihnen nicht zumutbar. Heute sieht man das anders. Das Kriseninterventionsteam rät, Angehörige nach Möglichkeit in die Rettung mit einzubinden. Wenn ich zum Beispiel jemanden beatme, lasse ich deshalb einen Angehörigen die Infusionsbeutel mit der Kochsalzlösung hochhalten. Und wenn nichts mehr zu machen ist, dann soll man Angehörigen in jedem Fall ermöglichen, Abschied zu nehmen, auch wenn der Tote einen schockierenden Anblick bietet– wobei es fast unmöglich ist, Mütter mit etwas zu schockieren, da kann der Kopf fehlen, die sehen in dem Toten noch immer ihr Kind. Aber üblicherweise macht man es inzwischen so, dass man die Leiche mit Tuch weitgehend abdeckt und dabei eine Hand unbedeckt lässt, sodass die Angehörigen die Hand des Toten halten können. Und so haben wir es auch hier gemacht.
    Nachdem der Bestatter die Leiche abgeholt hatte, hat mich der Vater mit der Reinigung beauftragt. Wir sind am nächsten Tag hingefahren und haben uns das Ganze noch einmal angesehen. Der Raum war wirklich beeindruckend gleichmäßig gesprenkelt. Wir sind in unsere Anzüge gestiegen, haben zunächst mit Kohrsolin gründlich desinfiziert und dann beim Inspizieren einen Putzplan entworfen. In diesem Fall war es ja wichtig, möglichst viel von der Einrichtung zu erhalten. Während wir also die wenigen größeren Teile des Schädels des Jungen aufsammelten, beschlossen wir, zuerst die Möbel zu reinigen, soweit es möglich war. Anschließend sollten die sauberen Möbel, die man bewegen konnte, vor die Tür. Wir würden dann den Rest mit Folie abdecken und uns anschließend an die Reinigung der gesprenkelten Wände machen. Aber zuallererst fotografierte ich alles.
    Die Sache mit den Fotos habe ich mir seit einer besonderen Schädlingsbekämpfungsaktion angewöhnt. Die

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