Was vom Tode übrig bleibt
zuerst, Platz zu machen, indem wir die leeren Plastikbierflaschen sammelten. Allein mit diesen Bierflaschen haben wir sieben 120 -Liter-Müllbeutel gefüllt.
Nach und nach hat uns die Frau erzählt, wie es so weit kommen konnte. Das Untypischste war, dass ihr Sohn noch diese enge Familienanbindung hatte. Alles andere ähnelte den Fällen, die mir öfter unterkommen. Er war arbeitslos geworden, ihm fehlte der Antrieb, er kam in einen Freundeskreis, der ihn im Sumpf eher festhielt als rausholte; vielleicht hatte er sich auch diesen Freundeskreis gesucht, weil er den– verglichen mit seinem Leben– großen Erfolg seiner alten Freunde nicht mehr mit ansehen wollte. Es kam zur in diesem Milieu üblichen Kleinstkriminalität, die sich bei solchen Schicksalen immer einzufinden scheint, im Schrank fanden sich Anzeigen wegen Fahrens ohne Führerschein, Verkehrsunfall mit Fahrerflucht, Betrugsanklagen, weil er bei E-Bay Dinge versteigert, nach Bezahlung aber niemals geliefert hatte.
Das war schon traurig zu sehen, weil man zugleich auch erkannte, dass er vor noch gar nicht allzu langer Zeit ganz anders gewesen war. Die Mutter war noch immer fassungslos, wie schnell ihr Sohn sich zugrunde gesoffen hatte. Im Schrank hing sogar noch sein Kommunionsanzug, aber das war auch das einzige Kleidungsstück, das nicht verdreckt auf dem Boden lag. Es gab eine Stereoanlage, eine Playstation, einen Computer, einen Fernseher. Eigentlich sah der Raum noch immer aus wie ein Kinderzimmer, aber das Kind war zuletzt wohl nicht mehr sehr niedlich gewesen.
Das Blut war auf der Couch und auf dem Teppichboden eingetrocknet. Wir machten aus den blutverschmutzten Teilen müllverbrennungstaugliche, in dicke Plastikfolie eingewickelte Pakete und fingen dann an auszumisten. Eine elende Schlepperei. Die Wohnung war im dritten Stock, wir hatten den Container nicht vor die Tür stellen können und mussten für jedes Paket 20 , 30 Meter Fußweg zurücklegen. Und ich hatte einfach nicht bedacht, wie viel Müll man ansammeln kann. Ich hatte einen Zehn-Kubikmeter-Container geordert, das hätte eigentlich vollkommen ausreichen müssen. Der Raum hatte ja höchstens ein Volumen von 35 Kubikmetern, und das obere Drittel, die Kopfhöhe eines Zimmers war– bis auf die Lampen– wie in den meisten anderen Wohnungen leer. Deswegen waren wir auch nur zu zweit gekommen. Aber wir schleppten uns regelrecht die Hacken krumm. Und als wir fertig waren, war der Container randvoll. Nur eine junge Frau hat versucht, ihn wieder zu leeren.
Ich fragte sie, was sie da mache. Sie stellte sich als Freundin oder Exfreundin des Toten vor, die seinen Computer suchte, weil da angeblich sein Testament auf der Festplatte sei.
» Ja, das kann schon sein«, sagte ich, » aber der Computer ist jetzt im Container, und da gehen Sie mir nicht ohne Schutzkleidung rein.«
Ich meine, das darf ja wohl nicht wahr sein, wir schleppen den ganzen Krempel im Overall in den Container, mit Atemschutzmaske und allem, und Madame spaziert in den Badelatschen durch die Hepatitis-Viren. Dann kam auch noch die Mutter des Toten dazu, und wir wurden Zeugen eines kleinen Erbschaftsstreits am Container, den die Mutter für sich entschied. Es war ein bisschen wie das RTL-Nachmittagsprogramm.
Die weitere Reinigung war unproblematisch, mit der Ausmistung des Zimmers waren auch sämtliche Blutspuren und -reste entsorgt. Abschließend haben wir den Raum noch einmal komplett mit Kohrsolin desinfiziert, und das war’s dann. Aber eingefallen ist mir die Geschichte jetzt vor allem deshalb, weil damals die Schwester des Toten zu uns gekommen ist und uns gefragt hat, ob wir eine Brotzeit haben wollten. Ihre Mutter habe in der Küche Weißwürste warm gemacht.
Ich weiß ja nicht, wie das die Rechtsmediziner oder die anderen Tatortreiniger halten, aber ich mag an meinem Einsatzort eigentlich nicht essen. Ich bringe auch lieber meine eigenen Getränke mit, obwohl ich natürlich weiß, dass man fast immer Wasser oder Kaffee angeboten bekommt. Ich trinke auch nicht gerne aus Tassen, die ich nicht kenne. Und ich will jetzt der Frau nicht zu nahetreten, das war eine ordentliche Küche, an der gab und gibt es nichts auszusetzen, aber in einer Wohnung, die ich gerade desinfiziere, weil der verblutende Sohn Hepatitis-B gehabt hat, Weißwürste zu essen, also– das ist ja nicht so mein Fall. Da kriegt man dann die Weißwurst und den Senf, und wer weiß, ob nicht der Sohn noch mit seinem Messer in dem Senf rumgestochert hat.
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