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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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sämtliche Leichenfundorte schalldämmen.

8. Tödliche Umleitung
    Man kann sich als Fernsehzuschauer darauf verlassen: Sobald in einem Krimi ein Rechtsmediziner mitspielt, der eine Leiche untersucht, dann kommt die Szene, in der der Mediziner in sein Wurstbrot beißt. Daneben steht dann ein junger Kriminalbeamter, der das fassungslos beobachtet und sich daraufhin übergibt oder in Ohnmacht fällt. Und der Zuschauer denkt dann, Himmel, wie abgebrüht sind doch diese Rechtsmediziner, wie können sie in so einem Moment ans Essen denken. Aber was soll ich sagen– es sind nicht nur die Leichenbeschauer, die in den seltsamsten Momenten ans Essen denken.
    Eine Frau rief uns an, ihr Sohn war gestorben, er war in ihrer Wohnung verblutet, und der Notarzt hatte anschließend gesagt, dass sie das nicht alleine wegputzen dürfte. Der Junge hätte Hepatitis-B gehabt, und da müsse man einen Fachmann holen, der das Ganze desinfiziert. Ob wir dafür in Frage kämen?
    » Ja«, habe ich gesagt, » das können wir schon machen. Geht’s nur ums Desinfizieren oder sollen wir das auch reinigen?«
    Wir sollten natürlich auch reinigen. Die Frau hatte sich darüber noch keine Gedanken gemacht. Der junge Mann war erst 23 Jahre alt gewesen, erfuhr ich, und Alkoholiker und hatte sich trotz seiner Jugend bereits eine schwere Leberzirrhose eingehandelt. Seine Ärzte hatten ihn deswegen schon mehrfach gewarnt und ihm gesagt, dass er mit weiterem Trinken sein Leben aufs Spiel setzen würde, und das waren nicht nur allgemeine Mahnungen gewesen.
    Bei einer Leberzirrhose stellen Bereiche der Leber nach und nach ihre entgiftende Funktion ein und können auch nicht mehr durchblutet werden. Weil aber deshalb die das Blut durch die Leber transportierende Pfortader auf immer mehr Hindernisse stößt, macht das Blut dasselbe wie ein Bach oder Fluss: Es sucht sich Umwege. Einer dieser Umwege sind die Ösophagusvarizen, kleine Venen in der Speiseröhre. Dieser Umweg hat zwei Nachteile: Erstens entgiftet eine Vene nichts, was wiederum eine schleichend zunehmende Vergiftung des Körpers zur Folge hat. Der zweite Nachteil ist rein mechanisch: Diese Venen sind für eine derartige große Blutmenge nicht vorgesehen. Sie erweitern sich zwar und machen die ungewohnte Belastung eine gewisse Zeit lang mit, aber sie erweitern sich nicht beliebig und auch nicht über einen beliebig langen Zeitraum. Wenn man nun Pech hat, platzen diese Venen unter der Belastung. Und wenn man so viel trinkt wie der junge Mann, braucht man dazu nicht einmal mehr Pech, sondern es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es so weit ist.
    Pech war allenfalls, dass seine Mutter zum Zeitpunkt des Unglücks im Krankenhaus war. Als bei ihm die überlastete Ader riss, verblutete er innerlich. Was die Angelegenheit problematisch machte, war, dass das Blut zunächst in seinen Magen geströmt war und er sich erbrochen hatte, weshalb das Zimmer aussah, wie es eben aussah, und deshalb hatte der Notarzt auf einer großflächigen Desinfektion bestanden.
    Die Mutter hatte das selbst geschockt. Nicht die Krankheit, darüber war sie informiert, aber dass sie so schnell fortschritt, hatte sie schon erschreckt. Aber was hätte sie machen sollen? Der Junge hatte sich in seinem Zimmer in dieser Wohnung verbunkert. Er hatte seine Mutter nicht mehr hineingelassen, er war im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr zugänglich. Man konnte aus den Erzählungen heraushören, dass er aggressiv gewesen war und sich zum Haustyrann in seiner Wohnhöhle entwickelt hatte. Das spiegelte sich auch in seinem Zimmer wider, als wir einige Tage später ankamen. Die Wohnung war so, wie die Frau selbst auch auftrat, ganz normal, gutbürgerlich eingerichtet– mit Ausnahme des Zimmers des Toten. Das war schlichtweg unglaublich.
    Wir zogen uns um und gingen hinein. Der Raum war winzig, vielleicht vier Meter mal vier Meter. Deswegen hatte ich auf den ersten Blick auch nur einen Container geordert. Ich wusste ja nicht, wie viel Müll man in einem Zimmer unterbringen kann. In dem Zimmer standen ein Bett, eine Couch, ein Schrank und noch ein Schrank. Einen Weg, den man gehen konnte, gab es nicht. Der Boden war übersät mir leeren Bier- und Schnapsflaschen, mit leeren Pizzakartons, Papptellern, Socken, Wäsche. Ich bahnte mir mit den Beinen einen Weg durch das Chaos, so wie ein Kleinkind im Park durch das kniehohe Herbstlaub raschelt, und machte die erste Desinfektion. Wir ließen das Mittel eine Viertelstunde einwirken und versuchten dann

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