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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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würde ich mich doch hier nicht hängenlassen.
    Aber irgendwie ließ sich offenbar der Schluss nicht mehr vermeiden, dass für mich Blut bei weitem nicht so schlimm ist wie Kot.
    Tatsächlich war in dieser Wohnung, der furchtbarsten Wohnung, die ich je gereinigt habe, niemand gestorben. Und letztlich hatte die ganze Geschichte bei aller Widerlichkeit sogar auch etwas Rührendes, aber widerlich war’s trotzdem. Und solche Jobs möchte ich, ehrlich gesagt, nicht mehr allzu viele machen. Doch das konnte ich ja nicht ahnen, als der Mann anrief.
    Der Mann war etwa 60 Jahre alt, und wie er auf uns gekommen ist, weiß ich bis heute nicht. Ich merkte sofort, dass ihm der Anruf furchtbar unangenehm war. Seine Mutter war gestorben, erzählte er, in drei Tagen sei die Beerdigung, und darum wolle seine Schwester zu Besuch kommen– und bei ihm übernachten. Und dann dürfe die Wohnung auf keinen Fall so aussehen, wie sie jetzt aussähe. Auf keinen Fall! Er wüsste sich nicht mehr zu helfen, ob wir da was machen könnten?
    » Prinzipiell schon«, sagte ich, » das ist zwar nicht unser Spezialgebiet, aber was machen können wir sicher. Was ist denn mit Ihrer Wohnung nicht in Ordnung?«
    Er lebe allein, sagte er, und er habe länger nicht aufgeräumt. Er habe da diese Lebensmittelmotten, und außerdem gäbe es ein Problem mit dem Abfluss der Toilette, und zwar schon länger, doch den Klempner könne er in der Sache nicht rufen, weil der sich geweigert habe, das zu reparieren, solange es so schmutzig sei. Spätestens jetzt hatte ich eine ungefähre Vorstellung, was los war– ein Klempner ist von verstopften und schmutzigen Toiletten vermutlich nicht sonderlich überrascht und sieht so etwas öfter, das konnte also nicht der Grund sein. Vermutlich war es dem älteren Herrn selbst unangenehm, den Klempner zu rufen. Warum es ihm jedoch weniger unangenehm war, uns zu rufen, weiß ich nicht, unsere Homepage sieht auch nicht feinfühliger aus als die anderer Unternehmen. Ich wollte ihm den Auftrag nicht abschlagen. Das lag auch an seiner Stimme: Der Mann sprach klar, ein wenig langsam, aber man hörte sofort, dass er kein Alkoholiker war, niemand von den Menschen, die wir normalerweise in Messie-Wohnungen finden, die zwischen leeren Billigbierflaschen und Discounter-Wodka leben. Wie immer es bei ihm aussehen mochte, dieser Mann schämte sich bis auf die Knochen dafür. Und man hörte deutlich, dass es ihn große Überwindung gekostet hatte, uns zu benachrichtigen. Ich konnte mir genau vorstellen, wie groß seine Angst sein musste vor dem Augenblick, in dem seine Schwester die Wohnung betrat und das erlebte, was er für so furchtbar hielt. Und falls ich ablehnen würde, war fraglich, ob er sich zu einem Anruf bei einer anderen Firma würde durchringen können. Also sagte ich zu. Ein verstopfter Abfluss, etwas Unordnung, Lebensmittelmotten– was konnte daran schon so schlimm sein?
    Wir klingelten pünktlich um neun Uhr bei dem alten Herrn in einer Stadt im Chiemgau. Ich hatte mich nicht getäuscht, am Klingelschild stand sein Name mit einem » Dr.« davor, er war vielleicht ein bisschen durchgeknallt, etwas vergeistigt, wie man sich zerstreute Wissenschaftler eben vorstellt, aber im Grunde sicher gutbürgerlich, das konnte nicht so schlimm sein. Und als der Doktor öffnete, wirkte er auch nicht völlig verlottert: Er hatte einen weißen Bart, eine Brille, ein schmuddeliges, fleckiges Hemd, Hosenträger an einer dunkelgrauen Hose ungewissen Zustands und roch nach altem Mann, aber nicht übermäßig, was ich angesichts der Wohnung im Nachhinein als mittelgroßes Wunder bezeichnen muss. Er ließ uns in die Wohnung, was schwer genug war, denn in der Wohnung war kaum Platz für drei Personen.
    Der robuste, eigentlich schmutzunempfindliche graue Teppichboden im Flur war unglaublich dreckig. Ein schmaler Durchgangsweg führte zwischen Aktenordnern, einer Saftkiste und einem kleinen Regal in die Küche. Die Einbaumöbel dort waren noch gar nicht so alt, eher fünf als zehn Jahre hätte ich geschätzt, aber zum Kochen waren sie beim besten Willen nicht mehr zu verwenden. Es gab in dieser Küche keine freie Fläche. Alles war voller Dosen, Tüten, Teller, Gläser, Kistchen, Büchsen. Überall tummelten sich die Lebensmittelmotten, ihre mit Spinnfäden befestigten Puppen waren in jedem Winkel, jeder Schachtel. Der Abfluss in der randvollen Spüle war verstopft. Und der Boden, ein prinzipiell pflegeleichter, heller Linoleumboden, war überzogen mit

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