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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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war der Hohlraum unter dem Fahrersitz.
    Dorthin was das Blut durch den Sitz gesickert. Er war nur durch ein winziges Lüftungsloch in Wadenhöhe zugänglich, in das ich nicht einmal meine Hand stecken konnte. Die Heizluft sollte dort zirkulieren. Ich hatte schon gehofft, es wäre nichts eingedrungen, aber wir haben dann mit einer kleinen Kamera reingesehen– es war natürlich voll Blut. Also wischte ich und holte raus, was möglich war. Teilweise auf dem Sitzrest kniend, teilweise von der Fahrertreppe aus, teilweise vom Fußraum aus.
    Als wir den Wagen wieder zusammenbauten, waren wir richtig stolz. Die Flächen, die Schweißnähte, an die das schwarze Blut hingetrocknet war, die fiesen Winkel, wir hatten alles erledigt. Man musste schon mit der Lupe hinsehen, um die minimalen Reste zu finden. Mehr war hier einfach nicht drin. Auf den ersten Blick sah der Laster sogar beinahe aus wie neu. Einsatzfähig. Außen standen die dicken Tüten mit dem Sondermüll. Der Job war beinahe erledigt. Jetzt mussten wir nur noch den Lkw überführen.
    Ich kletterte auf den notdürftig mit Plastikfolie bezogenen Sitz und ließ den Wagen an. Er brummelte zufrieden los. Klaus nahm seinen Wagen, damit er mich nachher wieder zu meinem Auto auf dem Parkplatz zurückbringen konnte. Und wir fuhren los. Es war einfach zu perfekt. Das Geräusch beim ersten Bremsen verriet es.
    Wir hatten den Hohlraum unter dem Sitz nicht leer bekommen. Und der Hohlraum hatte noch weitere Ausgänge, direkt auf Höhe des Bodenblechs. Bei jedem Bremsmanöver schwappte weiteres Blut von hinten direkt unter meine Füße. Ich sah fassungslos zwischen meinen Beinen nach unten. Ich hielt an, fuhr wieder zurück zum Standplatz. Und wir begannen im Fußraum von neuem. Dieses Spiel haben wir ein paarmal wiederholen müssen.
    Mit viel Papier und Pfriemelei haben wir den Lastwagen dann endgültig trockengelegt. Um acht Uhr morgens hatten wir mit der Arbeit angefangen. Es war jetzt halb neun Uhr abends und wir waren wie tot, absolut erledigt.
    Es war die einzige Tatortreinigung, nach der wir nicht einmal mehr in der Lage waren, gemeinsam essen zu gehen.

15. Helfen und helfen lassen
    Es sieht vielleicht so aus, als würden wir immer dort eingreifen, wo der Tod Formen annimmt, mit denen sich niemand mehr befassen möchte. Weil es zu ekelhaft ist und die Menschen ihre Augen und Nasen davor verschließen möchten. Und meistens ist das auch so. Aber nicht immer. Es kommt vor, dass Angehörige helfen. Und das gehört zu den erschütterndsten Momenten, die man in meinem Beruf erleben kann.
    Wir waren zu einer Wohnung gerufen worden, in der eine Frau gestorben war. Frühmorgens um fünf. Ein Mann hatte mich angerufen, ich nahm erst an, dass es sich bei der Toten wohl um seine Mutter gehandelt hatte. Doch als ich in dem Mietshaus ankam, öffnete mir ein altes Ehepaar. Ordentliche normale Leute, in einer ordentlichen normalen Wohnung. Eigentlich hätte man denken können, man hätte sich in der Tür geirrt, wenn der Flur nicht ausgesehen hätte, wie er aussah: die Wände, der Boden– überall Blutspritzer.
    Sie beiden führten mich ins Schlafzimmer, während ich noch grübelte, wer denn nun eigentlich gestorben war. Ich sah mich im Raum um. Das Blutbad aus dem Flur setzte sich hier fort. Mein Blick glitt über Wände, Decke, Boden, Möbel. Über das Bett, vor dem eine riesige Blutlache glänzte. Und auf dem eine tote Person lag. Ich wollte nicht zu genau hingaffen, und was ich gesehen hatte, genügte ja auch für die Kalkulation, also drehte ich mich um und nahm die beiden mit hinaus. Wir setzten uns an den Esstisch. Es würde noch dauern, bis mein Kollege eintraf, wir hatten reichlich Zeit. Also fragte ich die alte Dame, was denn überhaupt passiert war.
    Die Tote im Bett, erzählte sie mir, war ihre Tochter. Sie war 50 Jahre alt und hatte Krebs, Kieferkrebs, oder jedenfalls eine Form von Krebs, die den Kiefer befällt. Als ob sie nicht schon genug Pech in ihrem Leben gehabt hätte.
    Elf Jahre zuvor war ihr Mann an einem Herzinfarkt gestorben. Die beiden hatten sich eine Eigentumswohnung gekauft, waren entsprechend verschuldet– und plötzlich starb der Mann mit 39 . Die Tochter war allein mit den Kindern dagestanden. Sie hatte sie aufgezogen, sich einen neuen Job gesucht, eine neue Existenz aufgebaut, sie hatte die Wohnung allein abgezahlt, und gerade, als sie sich aus dem Schlamassel rausgearbeitet zu haben schien, war die Krebsdiagnose gekommen. Und dann hatte sie auch diesen

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