Was vom Tode übrig bleibt
dem Ordnungsamt gemeldet. Nicht weil ich so eine Petze bin, sondern weil ich das muss. Schaben sind kein Spaß, sie sind gesundheitsschädlich, weil sie alles, was sie futtern, zum Teil wieder erbrechen, durch diese Schabenkotze laufen und sie überall hinschleppen. Wenn meine Kollegen oder ich von Ratten, Mäusen oder Schaben in Restaurants erfahren, sind wir gesetzlich zur Meldung verpflichtet, weil die Behörden wissen müssen, wie die Lage in ihrem Bezirk ist.
Aber ich gebe zu: Gewollt habe ich es schon auch. Ich finde, wenn Leute für ihr Essen Geld zahlen, dann sollen sie auch ein Essen kriegen, über das keine Schaben stiefeln.
Ich gehe nach wie vor gerne essen, und übrigens auch chinesisch, thailändisch, asiatisch. Da schalte ich dann– wie bei allen Lokalen, die ich nicht kenne– mein Gehirn ab. Man muss sich klarmachen, dass man nicht alles kontrollieren kann und dass auch nicht alle asiatischen Lokale verschabte Giftküchen sind.
14. Über-Flüssig
Blut ist dicker als Wasser, heißt es immer. Ich kann jedoch bestätigen: Das ist nur eine Redensart. Blut muss dünner sein als Wasser, und ich muss es wissen. Ich habe einen ganzen Lastwagen voll davon weggewischt.
Der Geschäftsführer einer großen deutschen Supermarktkette rief uns an. Er hatte unsere Homepage im Internet gefunden. Auf einem Parkplatz an der Autobahn nach Garmisch stand ein Lkw. Der Fahrer hatte sich darin vor zwei Tagen, an einem Sonntagabend gegen 22 Uhr, die Pulsadern geöffnet. Ob wir den Wagen wieder benutzbar machen könnten? Allerdings gäbe es eine Schwierigkeit: Vor Ort stünde kein Strom- und kein Wasseranschluss zur Verfügung. Ich überlegte kurz, vereinbarte ein Honorar auf Stundenbasis und sagte zu. Dann füllte ich 60 Liter Wasser in Kanister ab, lud sie in den Wagen, sammelte Klaus auf und wir machten uns auf den Weg.
Der Lkw stand auf keinem Autobahnparkplatz, sondern hinter einer Außenstelle der Autobahnmeisterei. Wasser war tatsächlich nicht vorhanden, weil die Außenstelle nicht besetzt war. Von außen konnte man nicht viel erkennen. Ein weißer Lastwagen, hinten auf dem Laderaum stand groß das Firmenlogo. Und an den Stufen, die zur Fahrertür hochführten, waren einige Blutflecke. Sonst sah der Wagen ganz normal aus. Wir bereiteten alles vor, holten unsere drei Materialkisten und stiegen in unsere Overalls. Wir verklebten die Übergänge zwischen Overall und Handschuh, dann ging ich zum Führerhaus hoch und öffnete die Tür. Drinnen sah es aus wie in einem Schlachthaus.
In den kleinen karoförmigen Gummiabteilen der Fußmatte am Boden stand das Blut. Der Fahrersitz war voll davon und die Armaturen ebenfalls, die Gangschaltung und der Beifahrersitz. Von der Menge her hatte der Fahrer sich nach den Schnitten offenbar zunächst zurückgelehnt und das Blut fließen lassen. Er dürfte dann wohl bewusstlos geworden sein, oder: Er war es hoffentlich. Ich weiß ja auch nicht genau, was man sich als Selbstmörder erhofft, der Todeskampf dürfte jedenfalls nicht zu den erstrebenswertesten Momenten gehören. Fest steht, dass der Körper zu zucken begonnen haben muss.
Denn daher stammten die Spritzer in Fensterhöhe und an der Rückwand der Kabine. Dann war er nach rechts gekippt, mit dem Arm voraus, und musste auf den Beifahrersitz gefallen sein, denn dorthin in den Fußraum war dann das Blut aus dem anderen Arm getropft. Auf die Fußmatte ebenfalls, wo sich das Blut in den kleinen Karoabteilen gesammelt hatte. Da stand es noch immer, je nach Menge tiefrot wie am ersten Tag. Es war kein Wunder, dass die Beamten, die ihn gefunden hatten, zuerst von einem Gewaltverbrechen ausgingen, da es so entsetzlich aussah, aber vielleicht war das ja auch der Sinn der Sache.
Selbstmörder setzen gerne Zeichen. Bei einer Wohnungsöffnung mit der Feuerwehr haben wir einmal einen Selbstmörder entdeckt, der sich über dem Ehebett erhängt hatte. In diesem Bett hatte ihn seine Frau mit seinem besten Freund betrogen. Abgesehen davon, dass er das für einen Grund hielt, sich umzubringen, war hier klar, dass er seiner Frau eine Botschaft mitgeben wollte: » Hier hast du mich betrogen, hier hänge ich mich auf. Das hast du nun davon.« Eine etwas kindische Argumentation, wenn man mich fragt. Aber zu Selbstmorden gehört oft eine gewisse Inszenierung. Schon die Tatsache, dass jemand einen Abschiedsbrief schreibt, zeigt ja, dass er nicht nur an seinen Abschied, sondern auch daran denkt, wie und wo er gefunden wird und was sich dann die
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