Was vom Tode übrig bleibt
beides hinzuweisen. Daran kann man sehen, wie viel Arbeit und Planung und Knobelei oft hinter Selbstmorden steckt. Er hatte sich überlegt, was passieren würde, wenn man ihn entdeckt, er hatte sich die Todesart ausgesucht, er hatte dieses Gestell gebaut– das ist fast schon generalstabsmäßig vorbereitet. Da muss einer vorher in den Baumarkt gehen, er muss sich überlegen, wo er das Schild hinstellt, denn sicherer für die Leute um ihn herum wäre es ja, wenn er es an der Wohnungstür außen hinhängt, aber dann würde er wiederum zu früh entdeckt. Wobei der Zufall natürlich alles zunichtemachen kann. Bei einer Selbstmörderin hätten wir fast noch helfen können.
Es handelte sich um ein junges Mädchen, 23 Jahre alt, und der Nachbar rief uns genervt an, weil es seit Stunden aus ihrer Wohnung brummte. Wir hämmerten an die Tür, klingelten, sahen durchs Wohnungsfenster und öffneten dann die Tür. Wir fanden sie im Badezimmer. Sie hatte sich zuerst Adern und Venen geöffnet, sie hatte sich dazu die Arme in der Beuge auf einer streichholzbriefgroßen Fläche richtiggehend gehäutet. Und dann hatte sie sich am Siphon, an dem Überlauf, der bei alten Wohnungen noch oft oben in einer Badezimmerecke ist, aufgehängt. Doch das Sterben musste sich ziemlich langsam und qualvoll hingezogen haben, jedenfalls hatte sie im Todeskampf die elektrische Zahnbürste umgestoßen, die ansprang und auf dem geschlossenen Toilettendeckel landete. Und die geschlossene Toilette hatte einen dröhnenden Resonanzkörper abgegeben– daher war das Brummen gekommen.
Es gibt noch eine zweite Gruppe von Toten, die zwar das Alleinsein gesucht hat, aber der Unterschied ist: Die wollten garantiert nicht sterben, die wollten nur Sex. Das sagt sich ja immer so schön: Ich will mal in den Armen einer schönen Frau sterben. Aber die Wahrheit sieht anders aus. Erstens soll man sich so etwas nicht wünschen, weil solch ein Erlebnis den Partner traumatisieren kann und er Sex dann wohl für eine ganze Zeit lang sicher irgendwie seltsam finden dürfte. Zweitens aber, wer beim Sex stirbt, stirbt übrigens in 99 Prozent der Fälle allein– beim Masturbieren, das heißt, bei einer seiner vielen Varianten, vorzugsweise der Atemnotvariante.
Es gibt Menschen, die Gefallen daran finden, beim Sex kaum Luft zu bekommen, weil dies angeblich den Orgasmus intensivieren soll. Ich kann es nicht bestätigen, ich hab’s nie probiert und käme auch niemals auf die Idee. Ich habe einmal beim Tauchunterricht Atemnot unter der Tauchermaske gehabt, als der Lungenautomat ausfiel, das war nur verdammt beklemmend und sonst nichts. Aber manche mögen es offenbar. Sie ziehen sich Plastiktüten über den Kopf, so, wie man es kleinen Kindern verbietet, und sie denken, sie kämen schon noch rechtzeitig dazu, die Tüte wieder abzunehmen. Aber das ist gar nicht so leicht, weil sie ja permanent mit dieser Grenze zur Bewusstlosigkeit spielen. Sobald man das Bewusstsein verliert, erstickt man sehr schnell, was nicht daran liegt, dass keine Luft unter die Tüte käme, sondern dass man das Plastik mit dem Mund ansaugt. Und dann ist die Sauerstoffversorgung endgültig unterbunden. Der bewusstlose Körper atmet verzweifelt, aber saugt die Tüte immer fester an, und das war’s. Da hilft’s dann auch nicht, wenn die ganz Schlauen kleine Löcher in die Tüte schneiden, sobald das Plastik erst mal den Mund verschließt, kann nur noch jemand helfen, der einem die Tüte vom Kopf zieht. Bloß haben die Opfer nie jemanden dabei, weil sie entweder Singles sind oder es ihnen peinlich ist, ihrem Partner zu sagen, dass sie beim Sex gerne Plastiktüten auf dem Kopf haben. Nachdem wir aber relativ viele Opfer auffinden, die auf diese Weise erstickt sind, kann ich nur sagen: Der Wunsch ist nicht so ungewöhnlich, wie er klingt. Wer diesen Fetisch hat, ist vielleicht ein wenig wunderlich, aber damit nicht allein, er kann sich seinem Partner ruhig anvertrauen, und wenn der einen liebt, setzt er sich vielleicht hin und wieder daneben und passt auf, dass einem nichts passiert. Besser als allein zu ersticken ist das allemal. Und statt der Tüte eine Gasmaske zu nehmen und dann den Luftfilter zu verschließen, ist auch keine Lösung. Immer wieder finden wir Menschen, die dabei ums Leben gekommen sind. Erst kürzlich haben wir eine Wohnung geöffnet, deren Bewohner allerdings nicht aus erotischen Gründen, sondern aus selbstmörderischen Gründen die Tauchermaske aufgesetzt und Betäubungsmittel dazu
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