Was vom Tode übrig bleibt
geschluckt hat– irgendwann war der Lungenautomat leer und der Körper hatte in seiner Atemnot das Gesicht an das Glas der Atemmaske gesaugt. Die Glubschaugen des Toten in der Maske sahen ziemlich gespenstisch aus. Die bizarrste Variante des Todes, die mir im Zusammenhang mit sexuellen Motiven untergekommen ist, hatte allerdings nichts mit Atemnot zu tun, wohl aber mit Strangulieren.
Ein Mann hatte sich ins Auto gesetzt, seinen Penis kunstvoll verschnürt und die Verschnürung mit dem Lenkrad verknotet. Ich weiß nicht, was der besondere Reiz daran gewesen ist, funktioniert hat es wenigstens teilweise, allerdings hat er beim Orgasmus das Lenkrad verrissen und ist in den Gegenverkehr gerauscht. Den anderen Autofahrern ist ausnahmsweise mal nichts passiert, Gott sei Dank, er selbst allerdings war sofort tot, und wir haben große Augen gemacht, als wir ihn aus seinem Fahrzeugwrack rausgeholt haben.
Aber wir haben noch nicht von der zweiten Gruppe gesprochen, von jenen 200 Menschen im Jahr, die allein sterben und tot geborgen werden, obwohl sie es weder geplant noch je so gewollt haben. Das sind alte Menschen, einsame Menschen, die sich von der Gesellschaft absondern und vielleicht auch von der Gesellschaft aussortiert wurden. Alkoholkranke, die verzweifelt in ihre Schränke schreiben: » Das Schlimmste ist die Sucht.« Menschen, die sich für ihre Wohnung schämen, ihre Armut, für ihre Krankheiten, für alles Mögliche. Sie sterben auf der Couch vor dem Fernseher, sie brechen in ihrer Wohnung zusammen und bleiben hilflos liegen, sie fallen in der Küche vor dem Kühlschrank tot um, sie sterben im Bett. In den besten Fällen geht das schnell, aber die Lebensumstände sind so ziemlich das Deprimierendste, was man sich vorstellen kann, und ich habe mir fest vorgenommen, jetzt schon alles zu tun, um nicht eines Tages auf diese Art sterben zu müssen.
Zyniker könnten jetzt sagen, dass das sowieso nicht eintreffen wird, weil Feuerwehrleute ohnehin keine unglaublich hohe Lebenserwartung haben. Was unsere Fachzeitschriften oder die Aushänge am Schwarzen Brett in den Feuerwachen zu bestätigen scheinen, die Kollegen sterben an Herzinfarkten, Krebs, üblicherweise im Alter zwischen 60 und 70 . Kürzlich ist ein Kollege mit 39 an einer nicht richtig auskurierten Erkältung gestorben, Herzmuskelentzündung, kann auch passieren, weil wir Feuerwehrleute uns immer für unentbehrlich halten, und da ist man nicht krank. Brand- und Rauchfolgen, Stress, bei mir zudem noch kombiniert mit der Schädlingsbekämpfung, bei der ich nie ausschließen kann, dass mal eine Atemschutzmaske beschädigt ist oder ich mir durch einen Riss im Handschuh eine Infektion einfange– also 100 werde ich sicher nicht, und vereinsamt sterben will ich auch nicht. Und um Letzteres zu verhindern, tue ich alles, was ich tun kann.
Dazu gehört ein intaktes Familienleben, für das ich mir möglichst viel Zeit nehme, dazu gehört ein Freundeskreis und auch, dass man rechtzeitig für die Zukunft plant. Wir werden nicht ewig Mitte 40 bleiben. Für meine Frau und mich steht fest, dass wir uns mit 55 zum betreuten Wohnen anmelden. Wir wollen später eine eigene Wohnung haben, in der wir selbstständig bleiben, aber auch Pflegedienste nach Bedarf in Anspruch nehmen können. Damit darf man nicht warten, bis man 85 ist, da ist es zu spät, denn die Wartelisten für betreutes Wohnen sind so lang wie das Münchner Telefonbuch. Und finanzieren werden wir’s notfalls mit dem Verkauf unseres Hauses, das wissen unsere Kinder jetzt schon. Für viele Menschen ist das eigene Haus fast so etwas wie ein Kultobjekt. Ich kenne Leute, die haben für ihre alten Eltern irgendwelche tschechischen Pflegekräfte angeheuert, aus Geiz, damit das Haus nicht verkauft werden muss und hinterher was zu erben da ist. Wahnsinn. Uns passiert das nicht, das Haus ist für uns eine Geldanlage, und wenn’s gut läuft, später ein Erbe für die Kinder. Das ist unsere Art der Altersvorsorge– das und vielleicht noch ein, zwei Löffel Leinsamen. Wegen der letzten Todesform, die uns bei unseren Einsätzen relativ oft begegnet.
Gelegentlich gibt es morgens früh um fünf Alarm für einen Notarzteinsatz. Dann fährt man los und kommt zu einem älteren Ehepaar. Der Opa oder die Oma ist aufgestanden, auf die Toilette gegangen und dort gestorben. Eine ganze Menge Leser dürfte sich jetzt zugleich denken: Ulkig, dass der Anders ausgerechnet dieses Beispiel nimmt, bei meinem Opa war’s genauso. Die Lösung
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