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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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wahrnimmt.
    Das heißt, die außergewöhnlichen Varianten scheiden natürlich aus: ermordet zu werden, beispielsweise. Aber sonst ist vieles denkbar: ein Unfall, ein Autounfall sowieso, eine schwere Krankheit. Man stirbt im Krankenhaus oder im Altersheim, vielleicht auch zu Hause im eigenen Bett im Beisein des Partners, im Kreise der Familie oder von Menschen, die helfen oder trösten können. Doch die Toten, die meine Kollegen und ich sehen, haben vor allem eines gemeinsam: Sie sind allein gestorben. Und das sind in München in jedem Jahr immerhin rund 400 Personen nur im Stadtgebiet, den Landkreis noch gar nicht eingerechnet.
    Etwa die Hälfte von ihnen hat es so gewollt: Die rund 200 Selbstmörder legen großen Wert aufs Alleinsein. Das fällt nur manchmal nicht so auf, wegen der gewählten Todesart. Es gibt eine Brücke in München, die für Todessprünge bevorzugt gewählt wird, trotz aller Sicherungsmaßnahmen, da ist es nicht so wichtig, ob jemand in der Nähe ist oder nicht. Ich kenne auch einen Münchner Hochhauskomplex, aus dem sich in den letzten Jahren fünf Menschen in den Tod gestürzt haben. Zu verhindern ist auch das nicht, diese Menschen sind nicht aufs Dach gestiegen, sie sind einfach in ihren Wohnungen aufs Balkongeländer geklettert und gesprungen, und man sieht einem Mieter eben nicht an, ob er sich die Wohnung vielleicht extra dafür aussucht. Auch wer eine andere Todesart für sich gewählt hat legt Wert darauf, dass er ungestört ist. Ich komme öfter in Selbstmord-Wohnungen, in denen alle Türen zu sind, erst neulich wieder.
    Der ehemalige Lebensgefährte einer Frau hatte uns alarmiert, er wohnte in der Nähe seiner früheren Freundin und sah, dass mittags um zwei die Jalousien noch immer unten waren. Weil sie depressiv war, rief er die Feuerwehr, und wir rückten an. Wir klingeln in solchen Fällen immer, dann hämmern wir mit den Fäusten gegen die Tür, das dröhnt brutal. Falls jemand zu Hause ist, überhört er das nur, wenn er absolut stocktaub ist. Häufig genug wird dann die Tür geöffnet, aber in diesem Fall passierte das nicht. Also brachen wir das Schloss auf und ich ging rein. Die Tür zum Flur war zu. Die zum Wohnzimmer auch, die zum Bad, zur Toilette, jeder Schrank ebenfalls, die Jalousien waren unten. Da hatte jemand im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Leben abgeschlossen. Ich fand die Frau im völlig verdunkelten Schlafzimmer, man sah ihre Umrisse unter der Bettdecke, die sie sich auch noch über den Kopf gezogen hatte. Neben dem Bett standen die leeren Behälter mit allen Antidepressiva, die sie im Haus hatte. Ich zog die Decke zurück, sah die Leichenflecken, die sich nicht mehr wegdrücken ließen, die Leichenstarre hatte eingesetzt, da war nichts mehr zu machen. Mehr als diese Frau konnte man sich eigentlich kaum noch verkriechen. Und der Gedankengang ist zumindest nachvollziehbar: Wer sein Leben so unerträglich findet, der will wohl wirklich nicht, dass einem jemand im letzten Moment noch den Magen auspumpt.
    Seltsamerweise bedeutet der Wunsch nach Einsamkeit keineswegs immer Desinteresse an der Umwelt. Nie war das für mich deutlicher zu erkennen als damals, als wir bei einer Wohnungsöffnung innen als Erstes auf ein Schild stießen: » Achtung, Vergiftungsgefahr! Explosionsgefahr!«
    Wir haben sofort Messgeräte hinzugezogen. Wir wussten überhaupt nicht, was uns erwartet. Eine Bombe? Eine Schlange? Aber die Geräte zeigten erstens einen gewissen Sauerstoffmangel in der Wohnung und zweitens einen erhöhten Kohlenmonoxidgehalt. Es handelte sich also offenbar um Gas, weshalb ich mir dann ein Atemschutzgerät umhängte und damit relativ gut gesichert nach dem Selbstmörder suchen konnte. Im Wohnzimmer fand ich nichts. Doch im Schlafzimmer wurde ich fündig.
    Der Mann war 49 Jahre alt. Er lag in seinem Bett, und um sein Bett herum hatte er ein Holzgestell gezimmert, das sah etwa so aus wie ein Himmelbett. Dieses Gestell hatte er mit einer dicken, durchsichtigen, dicht schließenden Plastikplane verkleidet. Und unter diese Plane, direkt neben das Bett, hatte er einen Holzkohlengrill mit glühenden, nicht brennenden Kohlen geschoben. Dann hatte er sich ins Bett gelegt. Der Grill hatte den Sauerstoff verbraucht, wegen der Glut und der unvollständigen Verbrennung aber auch das giftige und zugleich hoch explosive Kohlenmonoxid erzeugt. Der Mann war erstickt und hatte sich parallel dazu auch vergiftet. Und da er niemandem schaden wollte, hatte er beschlossen, seine Finder auf

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