Was vom Tode übrig bleibt
war es trotzdem, zwei bestialisch stinkende Feuerwehrleute schlurfen durch Schwabing, im Schlepptau eine Art Staubsauger, der genauso stinkt und in dem leise eine Badewannenladung Leichenwasser gluckert.
Insofern war mir sofort klar, warum das Badewasser so aussah, wie es aussah. Die altrosa Antirutschmappe war beim Rausheben der Leiche mit hochgerutscht und über dem Badewannenrand hängen geblieben. Die Hautfetzchen hatten sich ebenfalls vor allem beim Herausheben gelöst und waren teils auf der Matte geblieben, teils im Wasser und teils am Schmutzrand.
Weil der Sohn mit in der Wohnung war, öffneten wir zuerst eine Dose mit Geruchsüberdecker. Das machte es für ihn erträglich, wenigstens in der ersten Stunde in der Wohnung zu bleiben. In der Zwischenzeit schlüpften wir in unsere Overalls, ich schoss meine üblichen » Vorher«-Fotos des Badezimmers und holte dann einen Müllbeutel. Unsere Overalls sind zwar gut, aber ich wollte nicht riskieren, wieder zu Fuß heimgehen zu müssen. Deshalb zog ich den Müllsack über meinen Arm, bevor ich in die Wanne griff. Ich wollte den Stöpsel erst ziehen, wenn ich mir sicher war, dass nichts den Abfluss verstopfen würde, denn ich kenne keinen Klempner, der so etwas freiwillig reparieren würde. Ich rührte durch die Brühe und blieb tatsächlich an einem nassen Handtuch hängen, das ich sofort rauszog und in einem weiteren Müllbeutel entsorgte. Dann zog ich den Stöpsel und ließ das Wasser ab. Während es ablief, rührte ich sorgfältig durch. Die Teilchen hatten sich am Boden abgesetzt wie Fruchtstückchen in einer ungeschüttelten Orangensaftflasche. Würden sie zum Schluss gesammelt durch den Abfluss rutschen, konnten sie ihn möglicherweise doch noch blockieren. Gut verteilt dagegen flossen sie problemlos ab. Ich stand zufrieden auf und holte meinen Arm wieder aus dem Müllsack. Er hatte tadellos dicht gehalten. A g’mahde Wies’n.
Didi begann, die Wanne mit Kohrsolin zu desinfizieren. Ich ging einstweilen zur Schnupperarbeit über. Wir mussten alles entfernen, was nach Leiche stank, und das war wieder mal erstaunlich viel. Bürsten, Cremes, Tiegel, das war nicht so überraschend, aber dass sogar die Seife stank, war neu für uns. Der ziemlich hässliche kreisrunde Badezimmerschrank aus den 1970 ern hingegen hatte keinen Geruch angenommen, obwohl er aus Kunststoff war. Und dann machten wir uns ans Schrubben.
Die festgeklebten Hautfetzen waren das Schwierigste, aber das Kohrsolin hatte sie so weit gelöst und aufgeweicht, dass wir mit ganz herkömmlichen Plastikschwämmen arbeiten konnten, die jeder aus der Küche kennt, die mit dieser dünnen, härteren Schabeschicht auf einer der Breitseiten. Es brauchte auch keine Chlorbleichlauge, hier konnten wir mit normalem Haushaltsscheuermittel arbeiten. Der Geruch war zwar schlimm, aber im Vergleich zu unseren sonstigen Arbeitsbedingungen wischte es sich hier paradiesisch leicht. Abgesehen von den altmodischen pastellgelben Fliesen sah das Bad aus wie neu.
Der Rest der Wohnung war ziemlich gut weggekommen. Nur eine Handtasche in Lederoptik, aber aus Synthetikmaterial im Flur roch nach Leiche. Wir konnten bei der abschließenden Geruchsbekämpfung sogar fast überall auf langwieriges Bürsten verzichten. Wir besprühten die Wände und Decken mit Chlorbleichlauge, und das war’s. Kein Ärger, keine Überraschungen, Didi und ich sahen uns zufrieden an, packten unsere Sachen ein, tadellose Arbeit. Und noch heute denke ich manchmal an diesen Fall. Wenn wir wieder eine grauenhafte Sauerei vorfinden, schießt er mir durch den Kopf und ich denke: » Warum eigentlich können nicht alle Menschen in einer Badewanne sterben?«
26. Abschied
Ich habe mich an den Tod gewöhnt. Den Tod fremder Menschen, um genau zu sein. Ich begegne ihm ja tagtäglich. Und es ist wichtig, dass man sich an ihn gewöhnt. Man stelle sich einen Einsatzort vor, bei dem neben einem Dutzend Toter zwei Dutzend Verletzte liegen, die alle vor Schmerzen stöhnen und um Hilfe schreien. Da will keiner einen Rettungsassistenten, der » Ogottogottogott!« schreit. Im Gegenteil: Der Rettungsassistent soll ganz gelassen bleiben und die Verletzten beruhigen. Solange ich helfen kann, solange ist der Tod für mich nicht schrecklich. Für Schrecken habe ich dann keine Zeit. Die Frage ist jedoch, was passiert, wenn ich nicht helfen kann. Wenn ich nichts zu tun habe und trotzdem ausharren muss. Das ist mir bislang nur einmal passiert: Als mein Schwiegervater
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