Was - Waere - Wenn
nicht,
Speicherkapazität auf der Festplatte frei zu halten.
Jedenfalls hat Heike »Ich-habe-kein-eigenes-Leben«-Ludwig sich in
dem kleinen Windfang am Eingang mit einem Stehpult aufgebaut und führt dort mit
wichtiger Miene Buch über An- und Abwesenheit. Mit einem Montblanc-Füller macht
sie eifrig Kreuzchen hinter die Namen derer, die schon da sind, wahrscheinlich
werden auch Verspätung und unentschuldigtes Fehlen vermerkt. Letzte Chance,
sich einfach aus dem Staub zu machen. Vielleicht gar keine so schlechte Idee.
Nur Nullen haben keine Ecken und Kanten. Heute. Ach, was soll’s. Ich hole noch
einmal tief Luft und steuere dann direkt auf Heike zu.
»Chaaarly!« Die Stimme hat in den vergangenen zehn Jahren nicht
unbedingt gewonnen. Heike selbst auch nicht. Ihr Faible für kamelfarbene Wollpullunder
mit V-Ausschnitt und weißer Bluse darunter hat sie immer noch nicht abgelegt.
»Wie schön, daß du auch da bist!« begrüßt sie mich und macht schnell ein
Kreuzchen hinter meinen Namen. »Ich habe tatsächlich schon 112 von 145
Ehemaligen zusammenbekommen«, teilt sie Dirk Neugebauer mit, der neben ihr
steht und stolz den Arm um sie legt. Wenn eine vollständige Ehemaligenliste zum
Highlight ihrer Tage gehört, dann Amen. Dirk begrüßt mich ebenfalls freundlich.
Ein goldener Siegelring mit unserem Schulwappen blitzt am kleinen Finger seiner
rechten Hand, so einen bekam immer der beste Abiturient des Jahrgangs
überreicht. Wer auf so was steht, der fürchtet sich wohl auch nicht davor,
Heike Ludwig flachzulegen, denke ich. Oder sogar zu heiraten: Neben dem Siegelring
steckt ein schlichter Goldreif.
»Schön, Zaubermaus«, sagt Dirk und küßt Heike väterlich auf die
Stirn. Zaubermaus lächelt glücklich. Jeder braucht so seine Erfolgserlebnisse.
Dirk verschwindet durch den Vorhang ins Innere der Bar, und ich stehe immer
noch wie bestellt und nicht abgeholt vor Heikes Rednerpult. »Wir haben uns vor
zwei Jahren beim Juristenball wiedergetroffen«, erklärt sie ungefragt. »Letzten
Sommer haben wir geheiratet.« Bei dieser Feststellung strahlt sie so viel
Besitzerstolz aus, daß ich befürchte, sie könnte radioaktiv sein.
Vorsichtshalber mache ich einen Schritt zurück, sicher ist sicher.
»Freut mich für dich.«
»Hast du denn gar keine Begleitung mitgebracht?«
»Hätte ich sollen?«
»Auf der Einladung stand doch, daß jeder mit Partner kommen darf.«
»Hab ich nicht gesehen.« Das stimmt wirklich. Aber Heike guckt mich
mit einem mitleidigen Blick an, der sagt: Hast wohl keinen zum Mitbringen!
»Außerdem bin ich mit Moritz Lichtenberg hier«, füge ich schnell hinzu. Ist ja
nicht komplett gelogen.
»Oh, wirklich?« Heike zieht erstaunt die Augenbrauen hoch. Ich
nicke. »Der ist aber noch nicht da.«
»Ich weiß«, behaupte ich einfach. »Wir haben eben noch telefoniert.«
Dabei ziehe ich mein Handy hervor und werfe einen Blick aufs Display, um damit
zu demonstrieren, daß ich einen ganz direkten Draht zu Moritz habe. Kindisch
ist das. Aber das Kind in mir freut sich.
»Wußte gar nicht, daß ihr noch Kontakt zueinander habt«, sagt Heike.
»Ach«, erwidere ich und mache eine wegwerfende Handbewegung, »über
die Jahre haben wir mal mehr, mal weniger miteinander zu tun gehabt.«
»Und jetzt im Moment mehr, oder wie?« Heike muß es immer ganz genau
wissen.
»Könnte man so sagen.« Jetzt ein Blick auf meine Fingernägel, so als
wäre das alles nicht so wichtig und würde auch eigentlich gar keine Rolle
spielen.
»Na ja«, sagt sie dann, »Moritz kann im Moment ja auch ganz gut ein
paar Freunde brauchen.«
»Ja, das kann er wohl.« Was meint sie nur? Ich kann ja wohl kaum
danach fragen.
»Hättest du jemals damit gerechnet?« fragt sie.
»Nie im Leben!« Wovon ist hier bloß die Rede?
»Ja, Dirk und mich hat es auch total geschockt! Dabei haben wir doch
gedacht, daß sie bald heiraten.« Aha, wir kommen der Sache näher, so langsam
habe ich eine Ahnung. Bitte, Heike, erzähl’s mir einfach.
Das Universum erhört meine Bestellung, Heike plappert fröhlich
weiter: »Aber Isa hatte eben keine Lust mehr zu warten, daß Moritz ihr endlich
einen Antrag macht.« In meinem Kopf reimt sich plötzlich alles zusammen.
»Sicher ist es hart für ihn«, stellt Heike fest und sieht dabei so traurig aus,
als wäre es ihr selbst passiert, »bestimmt nicht leicht, wenn man nach so
langer Zeit verlassen wird.«
Ich bin einigermaßen von den Socken. Moritz war also bis jetzt mit
Isabell von der Mark zusammen.
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