Was - Waere - Wenn
Bis jetzt? Das sind mehr Jahre, als mein
geistiges Vorstellungsvermögen fassen kann. So eine lange Zeit mit ein und
derselben Person schlafen, ein und dieselbe Person küssen, ein und dieselbe … na ja, alles eben! Ich persönlich bekomme ja schon Beklemmungen, weil mir seit
drei Jahren der gleiche Briefträger die Post bringt. »Aber da war ja sowieso
schon länger die Luft raus«, mutmaße ich, weil mir das die logische Konsequenz
aus so langer Zweisamkeit scheint.
»Hat Moritz dir das erzählt?« Heike guckt erstaunt.
»Ach, reden wir nicht drüber, geht uns ja eigentlich nichts an«,
winke ich ab, bevor sie mich auf meine Unterstellung festnageln kann. »Ich geh
dann mal rein«, sage ich, um das Gespräch zu beenden. Bisher habe ich in meinem
Leben nicht mehr als fünf Worte mit Heike gewechselt, und heute abend wollte
ich nicht damit anfangen.
»Hier«, sagt sie und reicht mir ein kleines Plastikschild, auf dem
Charly steht. »Damit wir uns gegenseitig wiedererkennen, einige haben sich doch
ziemlich verändert.«
»Danke.« Ich stecke das Schild in meine Manteltasche. Ich werde doch
durch den Stoff meines teuren Barbarella-Anzugs keine Sicherheitsnadel jagen!
Wer wissen will, wer die verdammt gutaussehende Frau in dem sensationellen
Outfit ist, der soll halt fragen – mit diesen positiven Gedanken, im Geiste
noch mal ein kleines »Ommmm« murmelnd, gehe ich an Heike vorbei. Ich bin
bereit.
Zehn Minuten später habe ich die Lage sondiert. Die Mood Lounge
ist das genaue Gegenteil vom Drinks & More. Hier könnte man gut ein
Dancefloor-Video drehen, die perfekte Kulisse: stylish, unterkühlt und gerade
hell genug, um einen Zahnstocher von einer Kokslinie zu unterscheiden.
Natürlich läuft angesagte Club-Mucke. Der letzte DJ ,
der mal versucht hat, was aus den Charts zu spielen, baumelt vermutlich als
abschreckendes Beispiel schrumpfköpfig über der Bar. Die Wände werden von
orangefarbenen Lava-Lampen gesäumt, im hinteren Bereich des Raumes stehen
dunkelbraune Ledersessel, aus denen man nur mit fremder Hilfe wieder hochkommt.
Besoffen gar keine Chance. Ich wette, auf der Toilette finden sich Kloschüsseln
und Waschbecken von Philippe Starck. Wenn nicht, bin ich enttäuscht.
Ich stolpere zur Garderobe und gebe meinen Mantel ab. Eine
Siebzehnjährige mit eckiger, getönter Sonnenbrille drückt mir für meinen Mantel
ein Märkchen in die Hand. Dabei mustert sie mich mit einem Blick, als würde sie
sich fragen, was diese ganzen Omas und Opas heute hier wollen. Ich frage mich
auch, wer die Location für das Treffen ausgewählt hat, für Heike ist es hier
eindeutig zu trendy. Aber vielleicht gerade deshalb, um zu zeigen, wie
wahnsinnig angesagt wir alle sind. Ich persönlich hätte es ja praktischer
gefunden, sich irgendwo zu treffen, wo man auch was sieht. Das erhöht die
Chancen, ehemalige Klassenkameraden wiederzuerkennen, doch ungemein.
Nach einiger Zeit haben sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt,
so daß ich ohne größere Gefahr für Leib und Leben ein bißchen herumgehen kann.
Überall haben sich kleine Grüppchen gebildet, es wird laut geredet und gelacht,
jeder scheint sich zu amüsieren. Tatsächlich kenne ich noch fast alle von
früher, bis auf ein paar Gesichter, die ich unter »mitgebrachten Partner«
einordne. Ich schlendere unschlüssig von Gruppe zu Gruppe und überlege, ob ich
mich irgendwo dazustellen soll. Aber während hier alle so wirken, als wären sie
die allerbesten Freunde, komme ich mir wie eine Außenseiterin vor. Ich bin eben eine Außenseiterin, das habe ich ja schon vorher
gewußt. Mein Blick wandert noch einmal durch den Raum, in der Hoffnung, Moritz
irgendwo zu entdecken. Aber er ist nicht da, und dabei ist es schon kurz nach
acht.
Ich setze mich auf einen Hocker an der Bar und bestelle mir eine
Limo. Kann es selbst kaum glauben, eigentlich wäre mir auch eher nach Bier – aber ich schätze, es ist für mich besser, dieser Veranstaltung hier nüchtern in
ihre häßliche Fratze zu blicken. Gelangweilt schiebt die Frau hinterm Tresen
mir eine Flasche hin, deren rötlicher Inhalt aussieht wie Hagebuttentee.
»Was ist das?« will ich wissen und beäuge die Flasche mißtrauisch.
»Deine Limo.«
»Was soll denn das für eine Limo sein?« Die Bedienung guckt mich
gleichmütig an, dann läßt sie müde ein »Bionade« aus ihrem rechten Mundwinkel
fallen.
»Bionade? Was ist das?«
»Ein biotonisches Erfrischungsgetränk«, schiebt sie gelangweilt
hinterher. Wahrscheinlich
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