Was - Waere - Wenn
Aber mir fehlte die Fähigkeit, länger als zwanzig
Minuten still zu sitzen. Bei so viel Hummeln im Hintern hätte ich lieber ein
Instrument lernen sollen, das man im Stehen spielt.
Bei dem Gedanken fange ich an, auf meinem Barhocker hin und her zu
rutschen. Wo bleibt eigentlich Moritz? Was denkt der sich dabei, mich erst
hierher zu bestellen und dann nicht aufzutauchen? Ob er vielleicht einen Unfall
gehabt hat? Liegt er in irgendeinem Straßengraben, halb bewußtlos meinen Namen
röchelnd?
Als Frau neigt man dazu, alle möglichen Gründe fürs
Nichterscheinen/Nichtanrufen eines Mannes zu finden – aber noch nie, nie, nie
im Leben habe ich auf einen Typen gewartet, der in Wirklichkeit gerade auf der
Intensivstation sein Leben aushauchte. Männer haben keinen Unfall, wenn sie sich nicht melden. Sie haben auch keine spontane
Amnesie, sind nicht Opfer einer Flugzeugentführung geworden und müssen auch
nicht mit Bruce Willis die Welt retten. Sie haben einen versetzt. Da darf man
sich nichts vormachen.
Verärgert hole ich mein Handy aus dem kleinen, dunkelblauen
Rucksack, den ich in Ermangelung einer schicken Handtasche mitgenommen habe.
Ich rufe Moritz einfach an und frage ihn, wo er steckt. Selbst ist die Frau,
was soll das ganze sittsame Gewarte? Nachdem ich die Tastatursperre
rausgenommen habe, fällt mir ein, daß ich seine Handynummer nicht kenne. Blöd
jetzt, wo ich doch für Heike mit ihm in ständiger Funkverbindung stehe. Ich
stopfe das Telefon zurück in den blauen Sack und bestelle mir noch ein Solchen.
Na gut, zehn Minuten, dann haue ich hier ab. Vielleicht noch fünfzehn, maximal!
Eine Stunde später erhebe ich mich mit mexikanischem
Gluckerbauch von meinem Hocker, um das Design der Kloschüsseln zu überprüfen.
Mittlerweile ist die Mood Lounge proppenvoll, also zwänge ich mich durch die
schnatternde Menge. Ich stolpere die Wendeltreppe zu den Waschräumen hinunter.
Zwei, drei Sol mehr, und sie wäre ein unüberwindbares Hindernis.
Hier unten in den Katakomben der Mood Lounge ist alles in eisigen
Blautönen gehalten, ein paar Neonröhren tauchen diesen menschlichsten aller
Orte in ein unwirkliches Licht. Tatsächlich finden sich hinter der großen
Schwingtür aus Milchglas mit der Aufschrift »Ladies« runde, weiße Waschbecken. Verdammt,
ich hätte mit irgend jemandem wetten sollen! Kann man denn aus diesem Talent
nicht etwas Sinnvolles machen?
Als ich aus der Toilette wieder in den Waschraum komme, steht Heike
gerade vor der großen Spiegelfront und zieht sich den Mund nach. Frisch
gelippenstiftet lächelt sie mich an.
»Und? Wie gefällt’s dir hier?« fragt sie.
»Och, ganz gut bis jetzt.«
»Moritz hab ich immer noch nicht gesehen«, kommt Heike auf ihr
Lieblingsthema zurück.
»Der kommt schon«, erwidere ich im Brustton der Überzeugung, um mir
ja nicht anmerken zu lassen, daß ich mich auch langsam frage, wo Herr
Lichtenberg steckt.
»Isa ist auch noch nicht aufgetaucht.«
»Und?«
»Vielleicht haben die beiden sich ja miteinander getroffen«, mutmaßt
Heike.
»Wer weiß«, gebe ich mich gelassen, obwohl ich in diesem Moment das
genaue Gegenteil davon bin. Wenn ich jetzt schon wieder wegen Isabell von der
Mark den kürzeren ziehe, raste ich aus. Ich bin bereits einmal traumatisiert,
das muß ich mir nicht noch mal geben! Ich blicke an mir herunter und komme mir
in meinem Barbarella-Anzug auf einmal total bescheuert vor.
»Steht dir übrigens toll, was du da anhast«, sagt Heike in diesem
Augenblick.
»Findest du?« frage ich und mustere sie dabei argwöhnisch, suche
nach einem Anhaltspunkt, daß sie sich in Wirklichkeit nur über mich lustig
macht. Aber da ist nichts. Sie scheint das tatsächlich ernst zu meinen.
»Ja, finde ich.« Heike nickt anerkennend. »Ist vielleicht ’n bißchen
gewagt, also, ich würde mich das nicht trauen – aber zu dir paßt es irgendwie.«
»Dankeschön!« Ich werde rot. Und freue mich. Aber was soll das
eigentlich heißen: Paßt zu mir?
»Komm«, sagt Heike und stößt die Schwingtür auf, »gehen wir wieder
nach oben.« Ich trotte ihr willenlos hinterher. Bin ja wirklich leicht um den
Finger zu wickeln, ein einziges nettes Wort reicht vollkommen aus.
Heike schleppt mich mit zu einer Gruppe, bestehend aus Dirk, Bernd
Dingsbums (kann mich nicht mehr genau an ihn erinnern, hat so ein
Allerweltsgesicht, das man schnell wieder vergißt), Bernds Frau Marion Dingsbums
(ähnlich auffallend wie ihr Mann), Claudia Heller (hat mich in der Siebten
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