Was - Waere - Wenn
mal
›blöde Kuh‹ genannt und mir vors Schienbein getreten), Babette Wolfram (der
habe ich mal vors Schienbein getreten), Rüdiger Schacht (genannt Rüdi; wollte
Arzt werden und ist jetzt Steuerfahnder beim Finanzamt), Rüdis Frau Caroline
(hat gerade das erste Kind zur Welt gebracht) und zu guter Letzt Sandra van
Thelen (hieß immer Strebersanne, war aber dafür mit sechsundzwanzig
Deutschlands jüngste Richterin) und ihr Mann Helmuth, der gut und gern zwanzig
Jahre mehr als sie auf dem Buckel hat.
»Seht mal, wen ich gefunden habe«, moderiert Heike mich an.
»Hi Charly«, erklingt es im Chor.
»Wie geht’s dir denn so?« will Claudia wissen.
»Sie ist mit Moritz hier«, antwortet Heike, bevor ich auch nur
darüber nachdenken kann, wie’s mir denn so geht. Scheiße.
»Mit Moritz?« Alle gucken mich an, als wäre ich die Neue von Boris
Becker.
»Äh, ja«, antworte ich gedehnt, »er ist aber noch nicht da.« Ich
bete inständig, daß keiner weiter nachfragt.
»Wußte gar nicht, daß ihr noch Kontakt habt.« Natürlich hakt Babette
nach, späte Rache für ihr Schienbein.
»Doch, doch«, beeilt sich Heike zu versichern. »Sie haben eben noch
miteinander telefoniert.«
»Komisch.« Babette läßt nicht locker. »Isa hat nie was von Charly
erwähnt, dabei treffe ich sie doch einmal pro Woche beim Sport.«
»Vielleicht weiß sie es ja gar nicht«, vermutet Heike.
»Doch, natürlich weiß Isa das«, behaupte ich, um allen Spekulationen
den Wind aus den Segeln zu nehmen. Skeptische Blicke, das scheint hier keinen
zu überzeugen. »Wir sehen uns auch hin und wieder«, füge ich hinzu, um meine
Behauptung zu untermauern. »Und jetzt werd ich noch mal eine Runde drehen.« Mit
diesen Worten entschwinde ich, bevor noch irgendeiner weiter fragen kann. Mein
Gott, als gäbe es nichts Interessanteres als mich und Moritz Lichtenberg.
Während ich durch den Raum schlendere, spüre ich noch immer Babettes
Blick im Rücken. Sie hat mir kein Wort geglaubt. Und das erste, was sie tun
wird, ist, Isabell nach mir zu fragen. Aber bis dahin bin ich hoffentlich über
alle Berge. Ziellos wandere ich von Grüppchen zu Grüppchen, höre hier und da
ein »Hi Charly«, einmal auch ein »Fräulein, ein Bier bitte!« Sehr witzig.
Gesprächsfetzen rauschen inhaltslos an mir vorbei. Im Stakkato berichtet einer
nach dem anderen, was er in den letzten Jahren so gemacht und erreicht hat, ein
regelrechtes Lebensläufe-Vergleichen findet statt. Dabei teilt sich das Lager
vor allem in die »mit« und die »ohne«, also in die mit und die ohne Kind. Wobei
ausgerechnet die schon Kinder haben, bei denen ich alles darauf gewettet hätte,
daß sie überhaupt kein Sexualleben haben. Vermutlich künstliche Befruchtung.
Ich erinnere mich an eine Party, auf der ich mal zusammen mit Julie
war. Als Julie und ich noch miteinander gesprochen haben, war das. Da standen
genau solche Leute herum wie hier, alle jung, dynamisch, erfolgreich. »Ich sach
ma so«, hatte Julie damals festgestellt, »wenn du dir hier einen aussuchen
müßtest – da würdste doch ’ne Frau nehmen, oder?« Ich muß lachen, als ich mich
daran erinnere. Ach Julie, wir hatten schon oft unseren Spaß. Hatten. Der Rest
ist Geschichte, und inzwischen muß ich allein auf solche Parties. Dabei
überkommt mich immer ein temporäres Tourette-Syndrom. Etwas in der Art muß es sein,
denn ich habe das nahezu unbändige Verlangen, ganz laut »ficken« oder
»Ausländer raus!« zu schreien. Nur, um zu gucken, was passiert. Bisher habe ich
diesem Drang immer noch widerstehen können, aber ich weiß genau: Eines Tages
wird es passieren! Vielleicht heute?
Obwohl es doch auch mein Klassentreffen
ist, fühle ich mich alles andere als dazugehörig. Nur dabei statt mittendrin.
Na gut, dann bin ich eben keine Null, aber wohl fühle ich mich trotzdem nicht.
Da verbringe ich doch tausendmal lieber meine Zeit im Drinks & More und
höre Tim und Georg beim Theoretisieren zu. Das paßt einfach besser zu mir als
Sol, Bionade und coole Clubmusik.
But I’m a creep
I’m a weirdo
What the hell am I doing here?
I don’t belong here
Ich beschließe, es mit dem Lied von Radiohead zu halten, und
gehe zur Garderobe, um meinen Mantel zu holen. Neun Uhr, für mich ist die Messe
gesungen. War ja mal ganz nett, zu gucken, was meine früheren Klassenkameraden
so machen. Und nachdem ich weiß, daß sie genau das machen, was ich mir vorher
gedacht habe, kann ich auch die nächsten zwanzig, dreißig Jahre wieder
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