Was - Waere - Wenn
darüber
lachen. Ich lächle tapfer und trete feste in die Pedale. Mit jedem Meter, den
ich zurücklege, schwöre ich mir, das Klassentreffen einfach zu vergessen. Und
die Leute sowieso. Gestern war gestern, heute ist heute. Restart, sozusagen.
Mein Restart hat leider Ladehemmungen. Genauer gesagt: Tim
zerschießt meine Festplatte, als ich das Drinks & More betrete. Wie
vermutet ist der Laden brechend voll, aber trotzdem nimmt mein Boß sich die
Zeit, mich so richtig schön zusammenzuscheißen. Genau das brauche ich jetzt.
»Hast du mal auf die Uhr geguckt?« schnauzt er mich an und knallt
wütend das Tablett, das er gerade in die Hand genommen hat, zurück auf den
Tresen.
»Du weißt doch, was gestern los war.« Ich bin überrascht, nein,
erschrocken. So wütend habe ich Tim noch nie gesehen.
»Und du weißt doch, was hier donnerstags
los ist! Wie kannst du mich so hängen lassen, du interessierst dich nur noch
für dich selbst!«
»Ich …« Ich bin ganz fassungslos. Was geht hier ab? Gestern noch
bringt Tim mich fürsorglich nach Hause, und jetzt macht er mich fertig. Wegen
nichts eigentlich. Das ist zuviel für mich, für so etwas bin ich momentan zu
zart besaitet. Ich breche in Tränen aus. Mitten im Drinks & More, scheint
meine Woche für große Auftritte zu sein. Und weil ich eben doch eine Frau bin,
mache ich etwas typisch Weibliches: Ich renne raus. Zu meinem Fahrrad,
versuche, das Schloß aufzuschließen, aber in der Aufregung und mit meinen
restalkoholbedingten motorischen Schwierigkeiten kriege ich das einfach nicht
hin.
»Charly.« Tim legt von hinten seine Hand auf meine Schulter.
»Laß mich«, fauche ich und schiebe sie weg, ohne mich dabei nach ihm
umzudrehen.
»Bitte!« Jetzt zieht er mich an meinem Arm sanft, aber bestimmt zu
sich herum. »Es tut mir leid.« Alfred E. Neumann mit schlechtem Gewissen, hat
auch was.
»Was tut dir leid?« Ich habe das Recht, motzig zu sein.
»Daß St. Pauli mal wieder verloren hat.«
»Was?«
»Natürlich daß ich dich so angemacht habe!« Ach so, das sollte ein
Witz sein. Aber er wirkt: Ich muß lachen. Tim nimmt mich in den Arm und
streicht mir mit einer Hand über den Rücken. Fühlt sich warm und gut an.
»Wieder besser?« Ich nicke. Und muß gleich wieder weinen, weil ich mich auf
einmal so klein und doof fühle.
»Nicht weinen«, flüstert Tim und wischt mir vorsichtig eine Träne
fort. Dann nimmt er mich noch fester in den Arm. »Nicht weinen«, wiederholt er.
Aber das ist gar nicht so einfach. Wenn ich einmal angefangen habe, kann ich so
leicht nicht wieder aufhören.
»He«, sagt Tim im Ich-munter-dich-auf-Tonfall. »Wo ist denn bitte
die lustige Charly hin? Die sich so leicht durch nichts und niemanden umhauen
läßt?«
»Die hat heute frei«, nuschele ich und sabbere dabei wahrscheinlich
gerade Tims T-Shirt voll. Wieder muß ich schluchzen. »Tut mir ja auch leid, daß
ich so spät dran bin, aber …«
»Schon gut, ich weiß ja.« Jetzt streichelt Tim mir über den Kopf,
die kleine Charly in mir mag diese beschützende Geste. Plötzlich jagt ein
kalter Schauer durch mich hindurch, ich muß unwillkürlich zittern. »Du zitterst
ja«, stellt Tim fest.
»Das ist die Post-Suff-Kälte«, erkläre ich und merke, daß mir sogar
die Zähne klappern. Brrrrrrrr. »Down and out and cold.«
»Ich glaube, du gehst am besten gleich wieder nach Hause.«
»Quatsch! Der Laden brummt, da kann ich dich doch nicht allein
lassen!« Zitter. Bibber.
»Mach dir keine Sorgen, Georg hat schon seine Hilfe angeboten.«
»Georg?« Tim nickt. »Dann muß ich mir ja wirklich keine Sorgen
machen.« Eigentlich müßte ich mich aus Höflichkeit noch etwas zieren, aber ich
bin einfach so fertig, daß ich am liebsten sofort wieder ins Bett gehen würde.
»Danke.« Tim drückt mich noch einmal, dann läßt er mich los.
»Ich hol dir noch meinen Mantel, du bist ja auch viel zu dünn
angezogen.«
»Jetzt mach mal halblang, Papi!« Aber da ist Tim schon wieder in der
Kneipe verschwunden. Eine halbe Minute später kommt er mit seinem Militär-Monstrum
zurück.
»Damit soll ich rumlaufen?«
»Wieso nicht? Mache ich ja auch.«
»Eben.« Wir grinsen uns an, dann lachen wir beide. Puh, ich hatte
vorhin schon Sorge, Tim könnte ernsthaft sauer auf mich sein. Er hält mir das
filzige Teil hin, ich ziehe es über und sehe damit wahrscheinlich aus wie einem
Rot-Kreuz-Container entstiegen. Aber Tim hat recht, mir ist sofort kuschelig,
warm und wohlig.
»Ich muß wieder
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