Was - Waere - Wenn
rein, sonst entern die Gäste den Laden.«
»Okay. Wir sehen uns dann morgen.«
»Und mach bis dahin, wenn’s geht, keinen Unsinn.« Das hätte er nicht
sagen sollen, erinnert mich natürlich sofort wieder an gestern und läßt mir die
Tränen in die Augen schießen.
»War ich sehr schlimm?« frage ich ihn, obwohl ich natürlich genau
weiß, daß ich sehr schlimm war.
»Ja«, sagt Tim und lächelt mich etwas schief an. »Aber du bist du.
Das mag ich.« Dann geht er wieder rein.
Nachdem Tim weg ist, stehe ich noch einen Augenblick unschlüssig
herum. Soll ich jetzt wirklich nach Hause fahren? Irgendwie gefällt mir der
Gedanke, allein bei mir rumzusitzen, nicht. Da fange ich bestimmt nur das
Grübeln an, und Grübeln hat bekanntlich noch nie zu was geführt. Vielleicht
sollte ich einfach eine Runde spazieren gehen, wäre für meine körperliche
Verfassung sicher auch nicht das Schlechteste. Also lasse ich das Fahrrad
stehen und wandere zusammen mit Aimee, die gerade »Save me« fordert, durch
Ottensen. Manchmal möchte ich auch gerettet werden. Vor mir selbst.
Blöd, jetzt grübele ich trotzdem. Zwei Frauen in meinem Alter kommen
mir entgegen. Ich bin mir sicher, daß die eine mich richtig angestarrt hat. War
die gestern auch in der Mood Lounge? Oder kennt die mich woanders her? Nachdem
sie an mir vorbeigegangen sind, drehe ich mich zu ihnen um und sehe, wie sie
die Köpfe zusammenstecken.
Jetzt geht das wieder los, nach solchen Ausfällen wie gestern
schiebe ich eine ziemliche Paranoia. Alle gucken mich an, alle reden über mich,
mit Fingern werden sie auf mich zeigen! Aber ich habe mir das doch nicht
eingebildet, die beiden Frauen reden doch tatsächlich über mich! Was wohl? Das
da war gerade Charly Maybach. Ja genau, die Charly
Maybach.
Ich drehe den Volume-Regler an meinem Discman höher, um die
imaginären Stimmen in meinem Kopf zu übertönen. Aber ich kann sie trotzdem noch
hören. Wie sie über mich herziehen und lästern, obwohl sie mich gar nicht
kennen und nicht wissen, wie ich wirklich bin.
Allerdings: Wie bin ich wirklich? Ich ziehe die Schultern hoch und vergrabe
meine Hände in den Taschen, ich will jetzt nicht darüber nachdenken! Ich will,
daß in meinem Kopf Ruhe herrscht, verdammt noch mal!
Etwas Klebriges steckt in der linken Manteltasche. Angewidert ziehe
ich meine Hand wieder heraus, an der ein halbgelutschtes Nimm2 pappt. Und daran
wiederum klebt eine Visitenkarte. Neugierig – guckt ja keiner! – werfe ich
einen Blick darauf.
NEW LIFE PERSONAL MANAGEMENT
Wir verändern Ihr Leben!
Karriereplanung – Coaching – Empowerment
Eins, zwei, drei. Ich brauche ein paar Sekunden, bevor ich
begreife, was das hier heißt. New Life Personal Management? In Tims
Manteltasche? Mein Tim, mein Alfred E. Neumann war
bei einer Personalberatung? Ich verstehe das nicht. Oder sind das Bonbon und
die Karte noch von Georg? Ich drehe die Visitenkarte um. Eine handschriftliche
Wegbeschreibung, die eindeutig von Tim ist. Verräter!
Mit einem Schlag wird mir die Bedeutung meiner Entdeckung klar:
Dieser miese Kerl plant seine Rückkehr auf die Überholspur. Back to business.
Und das ganz heimlich, still und leise. Ein echter Schock ist das, nie im Leben
hätte ich Tim das zugetraut. Scheint so, als sollte ich mir keine Gedanken
darüber machen, wie ich wirklich bin – das hätte ich
mich lieber mal bei meinem Chef fragen sollen!
Mit drei Schritten bin ich wieder im Drinks & More. Kommt mir
jedenfalls so vor, meine Füße fliegen über das Kopfsteinpflaster. Ich reiße die
Tür auf, stürme hinein und renne dabei fast Georg um, der gerade ein
rappelvolles Tablett durch den Laden balanciert. Die Getränke gehen mit einem
lauten Klirren zu Boden, sofort wird es still, und alle Gäste blicken zu mir.
Auch gut, bin ja langsam geübt darin, Publikum zu haben.
»Charly, was ist …« Georg steht völlig verdattert vor mir und beäugt
die Reste der Bestellung, die auf dem Fußboden zu Action-Painting verlaufen.
Tim kommt aus der Küche, um nachzusehen, was los ist.
»Warum hast du mir nichts gesagt?« fahre ich ihn an.
»Was gesagt?«
»Daß du planst, wieder Karriere zu machen.«
»Wie bitte? Was plane ich?« Das Auditorium lauscht gebannt.
»Hier!« Ich halte Tim die Visitenkarte unter die Nase. »Das habe ich
in deinem Mantel gefunden. Da warst du doch wohl kaum, um dir die Haare
schneiden zu lassen.« Tim guckt irritiert auf die Karte.
»Gib sie mir wieder«, fordert er und greift nach ihr.
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