Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was - Waere - Wenn

Was - Waere - Wenn

Titel: Was - Waere - Wenn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
Vom Netzwerk:
da
drüben, Charly, wie die sich wieder benimmt, hast du Charly gesehen,
unglaublich. Dann schließt sich der Kreis um mich, ich stehe wie ein gefangenes
Raubtier in der Mitte und kann nicht raus. Nein. Kein Raubtier. Ein Kaninchen
mit puckerndem Herzen.
    Das Getuschel um mich schwillt an. Jetzt entdecke ich auch Isabell,
Heike, Babette, Moritz, Dirk und Claudia, die ebenfalls in dem Kreis stehen.
»Schlampe! Schlampe! Schlampe!« skandieren meine ehemaligen Mitschüler in einem
immer lauter und schneller werdenden Sprechchor.
    In Ordnung, ich weiß ja, daß ich in Wirklichkeit gerade nur eine
Wahnvorstellung habe. Aber dafür ist sie ziemlich real, das muß ich schon
sagen. Ich strecke meinen Rücken durch und wanke so zielsicher es geht auf den DJ zu. Mit einem lauten »rrritsch« reiße ich die Nadel
von der Ace-of-Base-Platte, mit der er uns gerade quält, und nötige ihm das
Mikrophon ab. Ein kurzes, heftiges Handgemenge, dann habe ich es an mich
gebracht.
    »Ich muß jetzt auch mal was loswerden«, brülle ich ins Mikro. In
Sekundenschnelle formt sich nun wirklich ein Halbkreis um mich und die
Gespräche verstummen. »In Ordnung.« Tief befriedigt stelle ich fest, daß ich
nun die ungeteilte Aufmerksamkeit habe. Hört nur alle gut zu, was Charly
Maybach euch zu sagen hat.
    »Ihr seid alles dumme Arschlöcher«, krakeele ich los. »Arschlöcher
und Spießer und Langweiler!« Ich gerate kurzfristig ins Taumeln, jetzt bloß
nicht umfallen! »Ihr wißt doch alle gar nicht, was Leben heißt! Lieber tot als
so wie ihr!« Jetzt komme ich erst so richtig in Fahrt. »Ich bin eine Schlampe?
Gut! Ich bin eine Schlampe! Und ich sage euch was …« Ein langer Blick zu
Moritz, dem die Kinnlade gerade über den Boden schrappt. »Ich bin verdammt
stolz darauf! Kann ja sein, daß ich nur eine kleine Kellnerin bin – aber die
eigentlichen Nuller seid ihr! Ihr habt ja alle ’ne Kante!« Kommt mir vor, als
hätte ich da jetzt was durcheinandergebracht. Aber klingt trotzdem ganz gut.
Noch immer sagt keiner einen Ton, und ich überlege krampfhaft, was ich jetzt
noch sagen könnte. Hat man ja nicht alle Tage, daß einem alle so aufmerksam
zuhören.
    »Was machst du denn da?« Tim kommt auf mich zugelaufen.
    »Oh, hallo Tim«, nuschele ich ins Mikro. »Ich hab dich ganz
vergessen.«
    »Gib mir das«, sagt er, nimmt mir das Mikrophon aus der Hand und
stützt mich, weil mir urplötzlich die Knie wegsacken. Spielverderber, wurde
doch gerade erst lustig. Mittlerweile hat um mich herum wieder Gemurmel
eingesetzt. Ha! Denen hab ich mal eine echte Show geliefert.
    In diesem Moment gibt der Boden unter mir vollständig nach, Tim
fängt mich auf, legt seinen Arm um mich und schleppt mich zum Eingang. Das
Garderobenmädchen drückt ihm auf dem Weg dahin unaufgefordert meinen Mantel in
die Hand, meine Visage wird die so schnell nicht wieder vergessen! Kurz vor dem
Windfang stehen Isabell und Moritz.
    »Ich wünsche euch viel Glück«, rufe ich, während Tim mich schon aus
der Tür schiebt.
    »Laß mich raten«, sagt Tim, nachdem er mich auf den Beifahrersitz
verfrachtet hat und losgefahren ist. »Dein Abend war mehr so geht so.«
    »Quatsch!« Ich mache eine wegwerfende Handbewegung und haue dabei
aus versehen den Rückspiegel herunter. Leichte Koordinationsschwierigkeiten.
»Hab mich amüsiert wie Bolle.«
    »Da bin ich aber froh.«
    »Halt mal!« Tim zieht rechts ran, ich reiße die Tür auf und übergebe
mich in den Rinnstein. Ein Wunder, daß in mir überhaupt noch was drin ist. Das
kleine Spielchen wiederholen wir fünf, sechs Mal, dann sind wir endlich bei mir
zu Hause.
    Die Treppe hoch zu meiner Wohnung schaffe ich erstaunlicherweise
noch allein, aber mit Aufschließen, Ausziehen und Hinlegen wird’s schwierig.
Schwester Tim steht mir tapfer zur Seite und gibt einen beispiellosen Pfleger
ab. Als ich endlich beschlafshirtet und gezähneputzt in meinem weichen Bettchen
liege, wird es mit einem Schlag dunkel um mich. Der Rest ist Schweigen.

4. Kapitel
    Der Morgen danach. Ich erwache von meinem eigenen
Schluchzen, habe im Traum geweint. Auf dem Korbsessel neben meinem Bett liegt
der Barbarella-Anzug und klagt mich an. Bei dem Versuch, mich aufzusetzen,
sticht mir eine scharfe Klinge durchs rechte Auge bis in den Hinterkopf, danach
explodiert mein Schädel in tausend Stücke. Der CD -Recorder
auf meinem Nachttisch spielt »Bernard & Bianca« in der Endlosschleife, das
Digitaldisplay zeigt 16   :   53   Uhr.
    Seit zwei Stunden müßte

Weitere Kostenlose Bücher