Was - Waere - Wenn
kann doch nicht sein!
»Können Sie das Licht etwas heller machen?« Daran wird es liegen.
Ist ja so dunkel hier, kein Wunder, daß ich die Narbe nicht entdecken kann.
Elisa schüttelt amüsiert den Kopf, geht zur Tür und dreht den Dimmer nach
rechts. Sekunden später ist es im Zimmer taghell. Aber die Narbe bleibt
verschwunden.
»Soll das heißen …?« Ich lasse den Spiegel sinken und starre sie
fassungslos an. Sie setzt sich wieder hin und schlägt ihre Beine übereinander.
»Das soll heißen«, erklärt sie, »indem wir das Ereignis gelöscht
haben, verschwinden natürlich auch die Konsequenzen daraus. Und weil Sie nie
diesen Unfall hatten, haben Sie nun auch keine Narbe mehr unterm Kinn. Logisch
eigentlich, oder?«
»Darf ich rauchen?«
»Sicher dürfen Sie«, erlaubt Elisa. Hektisch suche ich in meiner
Hosentasche nach meinen Kippen. Aber ich habe ja den Overall an.
»Hier«, Elisa hält mir eine Schachtel hin, dankbar fingere ich eine
Zigarette heraus. Dann gibt sie mir Feuer. »Wir könnten natürlich auch den
Moment löschen, als sie das erste Mal zu einem Glimmstengel gegriffen haben – dann wären Sie plötzlich Nichtraucherin.«
»Das würde gehen?« Meine Hand zittert so sehr, daß ich die Kippe
beinahe fallen lasse.
»Wie ich Ihnen schon bei unserem ersten Gespräch sagte: Unser
gesamtes Leben setzt sich aus Millionen und Abermillionen verschiedener
Möglichkeiten zusammen. Ähnlich wie bei einem Zahlenschloß mit unendlich vielen
Nummernkombinationen. Gehen wir links herum, verläuft unser Leben vollkommen
anders, als wenn wir nach rechts gegangen wären. Sind wir auf dem Weg zur
Arbeit fünf Minuten zu spät, begegnet uns vielleicht nicht mehr der Mensch, der
unser gesamtes weiteres Leben beeinflussen könnte. Alles unterliegt dem Gesetz
von Ursache und Wirkung, nichts, was wir tun, bleibt ohne Konsequenzen. Nehmen
wir zum Beispiel Ihre Narbe.« Sie deutet auf mein Kinn. »Stellen Sie sich vor,
Sie wären Model.« Ich muß lachen, käme wohl keiner auf die Idee, mich als Model
zu buchen! Ich ernte einen mißbilligenden Blick.
»Entschuldigung.«
»Sie sind also Model und haben diese Narbe unterm Kinn. Sie sollen
für einen großen Kosmetikkonzern Werbeaufnahmen für ein neues Make-up machen.
Gedreht werden soll in … sagen wir mal … Florida.«
»Ich bin also in Florida.«
»Nein, eben nicht!«
»Ich bin nicht in Florida?«
»Nein, weil Sie den Auftrag nicht bekommen, nachdem man die Narbe
unter Ihrem Kinn gesehen hat.«
»Schade.« Jetzt bin ich enttäuscht. Mein erster Modeljob, und schon
wird nix draus. Aber was will ich auch in Florida, da werden sowieso nur
Rentner abgeknallt.
»Es geht noch weiter: In Florida hätte ein berühmter Fotograf die
Aufnahmen gemacht, und in den hätten Sie sich dann verliebt.«
»Sah er gut aus, der Fotograf? Hatte er Geld? War er gut im Bett?«
Elisa lacht.
»Ja, bestimmt. Aber darum geht es ja gar nicht, ich habe nur
versucht, Ihnen zu erklären, wie Kleinigkeiten unser Leben verändern können.«
»Glauben Sie mir, Elisa«, meine ich, »es liegt bestimmt nicht nur an
meiner Narbe, daß ich den Model-Vertrag nicht bekommen habe. Da gibt es noch
meine Beine, meinen Hintern, meine …«
»Wenn Sie mich nicht ernst nehmen wollen, ist es wohl besser, Sie gehen.«
Oh, auf einmal sitzt mir die strenge Elisa gegenüber.
»Nein, nein, ich finde das alles total spannend«, versichere ich
schnell. »Dachte nur, ich lockere die Situation mit einem kleinen Witzchen
auf.« Elisa blickt immer noch sparsam. »War wohl keine so gute Idee«, stelle
ich kleinlaut fest.
»Das, worüber wir hier reden, ist eine ernste Angelegenheit«, stellt
Elisa fest. »Sie sollten sich über die Tragweite schon bewußt sein.«
»Darüber bin ich mir total bewußt«, versichere ich ihr, »und ich bin
auch mit Ernst bei der Sache.« Allerdings bin ich in diesem Moment in erster
Linie voller kribbliger Vorfreude. Nicht zu fassen, was das für mich bedeutet!
Ich versuche, alle Elektroden wieder an ihren Platz zu kleben, damit wir
weitermachen können. Bloß schade, daß ich wahrscheinlich nur träume …
»Haben Sie noch irgendwelche Fragen?« Ich überlege einen Moment.
Aber eigentlich bin ich viel zu aufgeregt, um noch etwas zu fragen. Ich will
endlich anfangen! Dann fällt mir doch noch etwas ein, das mir wichtig erscheint.
»Wenn wir jetzt bestimmte Ereignisse aus meinem Leben entfernen – dann kann sich hinterher wirklich niemand mehr daran erinnern?«
»Nein,
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